Wo die toten Kinder leben (German Edition)
kam zurück, servierte uns die Getränke und setzte sich ebenfalls.
Der Kaffee war, wie er sein sollte: schwarz, heiß und stark.
„Was haben Sie herausgefunden?“, fragte mich Satorius.
„Die einzigen Parallelen, die wir bislang finden konnten, sind das Alter der Opfer und dass sie beide mit dem Bistum verbunden waren. Hinzu kommen diese rätselhaften Verletzungen. Die sind bei beiden nahezu identisch. Warum das so ist, und aus welchen Gründen sie sich so grausam selbst gequält haben, können wir nicht sagen.“
„Ich habe Frau Steinbach gestern von den beiden anderen Selbstmorden erzählt“, ergänzte Wagner.
„Frau Steinbach, kennen Sie die Details dieser früheren Suizide?“, fragte mich Lorenzo.
„Nenn mich doch Anne“, sagte ich. „Und um auf deine Frage zu antworten: Herr Wagner hat mich nur ganz allgemein informiert. Mehr Zeit hatten wir gestern nicht.“
Lorenzo lächelte. „Also gut, dann Anne!“
Satorius hüstelte und stellte seinen Tee ab. Das Porzellan klirrte leise. „Es waren zwei Jugendliche. Ein Junge und ein Mädchen. Man hatte gar nicht gewusst, dass sie ein Pärchen waren, aber sie sind zusammen ins Wasser gegangen - aneinandergebunden und mit selbstgemachten Gewichten beschwert.“
„Selbstmord bei verliebten Teenagern – das kommt leider viel zu häufig vor“, sagte ich.
„Das schon. Aber beide wiesen Brandspuren an den Extremitäten auf, ihre Arme waren gebrochen und sie hatten tiefe Wunden an den Händen.“
„Stichwunden, wie von Nägeln?“, fragte ich.
Satorius zuckte mit den Schultern. „Das wissen wir nicht. Das wurde damals auch nicht genau untersucht. Dazu bestand keine Veranlassung. Man nahm an, die beiden hätten sich aus Liebeskummer das Leben genommen. Aber jetzt, im Nachhinein…“ Satorius verstummte.
„Wie sind Sie überhaupt auf diese ersten beiden Selbstmorde aufmerksam geworden?“, erkundigte ich mich.
„Nun, das war wirklich ein Zufall. Die damalige Amtsärztin, Frau Dr. Hofmann, die die Totenscheine für die zwei Jugendlichen ausgestellt hat, betreibt in der Nähe eine große Praxis. Sie ist in der Diözese von jeher sehr aktiv und ihr fielen die Gemeinsamkeiten auf, als ich mit ihr einige medizinische Details im Zusammenhang mit Cornelias Suizid erörtern wollte.“
„Herr Wagner meinte, es gäbe kaum Aufzeichnungen über diese ersten beiden Todesfälle. Hat Frau Dr. Hofmann vielleicht noch etwas, das uns weiterhelfen könnte?“
Lorenzo meldete sich zu Wort. „Leider nein. Frau Dr. Hofmann besitzt keine privaten Unterlagen über ihre Tätigkeit als Amtsärztin. Für sie war das damals ein – wenn auch trauriger – Routinefall. Ich bin der Sache in den letzten Wochen gründlich nachgegangen. Ich war überall. Das einzige, was ich fand, war eine absolut unpersönliche Aktennotiz der Polizei. Keine Fotos. Nicht einmal eine Autopsie wurde durchgeführt. Ich entdeckte lediglich in einem Nebensatz den Hinweis, dass die beiden wohl schon einmal zuvor versucht hatten, aus dem Leben zu scheiden, jedoch gescheitert waren.“
Wagner beugte sich vor, seine gesamte Haltung hochkonzentriert. „Personen, die erfolglos versuchen, sich umzubringen, werden im Bezirkskrankenhaus behandelt. Frau Steinbach hat mich gestern darauf gebracht….“ Wagner wandte sich mir zu: „Hatten Sie Zeit und Gelegenheit, das zu überprüfen?“, fragte er mich.
„Ich war heute früh im Bezirkskrankenhaus. Und es ist tatsächlich so, dass die dort Akten über fehlgeschlagene Suizide aufbewahren“, meinte ich.
„Und? Hast du die Papiere einsehen können? Oder könnten wir nochmals hin und gezielt nach den beiden Jugendlichen forschen?“, erkundigte sich Lorenzo bei mir.
Bedauernd schüttelte ich den Kopf. „Das würde wenig Sinn machen. Heute Nacht gab es dort einen Einbruch und die Unterlagen der letzten fünf Jahre sind gestohlen worden.“
Unser Gespräch brach ab. Es war, als würde ein kalter Hauch durch den Raum ziehen.
„Dann ist es wahr“, sagte Satorius in die Stille. „Die Selbstmorde haben eine Verbindung. Und irgendjemand will verhindern, dass wir sie erkennen. Wir liegen richtig mit unseren Vermutungen.“
„Vielleicht handelt es sich bei den Einbrechern um die gleichen Personen, die gestern Herrn Wagner und mich angegriffen haben. Die wollten auch nicht, dass wir Licht in die Angelegenheit bringen“, sagte ich.
„Wir lassen uns aber nicht einschüchtern“, warf Wagner ein und sein Gesicht hatte einen Ausdruck angenommen, den ich
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