Wo die Toten ruhen - Psychothriller
gebaut, und sie war porös und fing an zu bröckeln, also wollte ich den Mörtel rauskratzen und alles reparieren. Und dann ist sie hier eingebrochen und hat mich überrascht. Ich musste mich schützen! Ich musste uns schützen! Warte … wohin willst du? Was tust du da? Ray?«
Er schloss die Tür und verriegelte sie. »Ich sorge dafür, dass
du da unten bleibst, bis die Polizei kommt. Im Fensterrahmen stecken noch jede Menge Scherben. Versuch nicht, da rauszukommen. Ich bleibe hier stehen und warte.«
»Lass mich laufen. Bitte. Ray?«
Er prüfte das Schloss. Es war sicher genug.
Epilog
Sieben Monate später.
Ray fuhr nach Corona, in das trockene Inland Kaliforniens.
Am Eingang füllte er ein Formular aus, zeigte seinen Ausweis vor, ging durch den Metalldetektor, stand die kritische Musterung mehrerer Wachleute durch und gelangte schließlich in den Besucherbereich.
Er setzte einen Kopfhörer auf, genau wie Esmé, die ihm gegenüber hinter einer Acrylglasscheibe saß.
»Behandeln sie dich gut?« Sie war gealtert. Ihr Kinn war fest, und er bemerkte, wie eckig und stur es immer noch war.
»Ich habe mich zum Küchendienst einteilen lassen«, sagte Esmé. »Das Essen ist viel zu kohlenhydratreich. Ich habe beschlossen, Vegetarierin zu werden. Ich traue dem Fleisch nicht.«
Sie fragt mich nicht, wie es mir geht, dachte Ray, und das versetzte ihm einen Stich. Esmé dachte nur an sich. Vielleicht hatte sie immer nur an sich gedacht. Es kam ihm so vor, als wäre ein Sturm durch sein ödes Leben gefegt und hätte sämtliche Illusionen mit sich gerissen. »Ich habe dir etwas Geld hinterlegen lassen - für die Kantine.«
»Hast du mir meine Zeitschriften mitgebracht?«
»Ja, sicher.«
»Meine Zellennachbarin braucht eine Nierentransplantation. Sie ist wieder im Krankenhaus. Ich schlafe jetzt, wo sie weg ist,
viel besser, aber nächste Woche bekomme ich wahrscheinlich eine neue Insassin zugeteilt.«
»Macht dich das nervös?«
»Sie sind nicht so schlecht, wie du vielleicht glaubst. Hauptsächlich missbrauchte Frauen. Und Drogensüchtige.«
Sie hatte noch nie so gesprochen. Ray richtete sich auf.
»Es ist so unfair. Ich habe einen einzigen Fehler gemacht. Das eine Mal, als du mit im Auto gesessen hast und ich betrunken gefahren bin. Und jetzt soll ich den Rest meines Lebens im Gefängnis sitzen und dafür bezahlen?«
Und der Mord an seinem Vater? Und der Angriff auf seine Frau? Esmé hatte immer noch blinde Flecken - groß wie Tunnel, durch die riesige Sattelschlepper passten. »Mom, vielleicht solltest du auf das hören, was sie sagen. Das ist nicht alles Unsinn.«
»Es ist über die Maßen ärgerlich, dass ich hier drinnen sitze. Verübelst du mir das, was ich tun musste?«
»Ja«, sagte Ray.
»Alles, was ich sagen kann, ist, dass du noch keine Kinder hast. Eines Tages wirst du mich besser verstehen.«
Ray, der inzwischen seit drei Monaten wusste, dass er Vater werden würde, erzählte ihr nicht von Leighs Schwangerschaft. »Nimmst du mir die Dinge übel, die ich tun musste, um dich aufzuhalten?«
Esmé zögerte, fuhr mit der Zunge über die Lippen. »Fast mein ganzes Leben lang warst du mein Ein und Alles, Schatz. In letzter Zeit mache ich mir keine Sorgen mehr um dich, ob du dich gesund ernährst, ob deine Arbeit gut läuft. Ich nehme an, ich versuche, mich abzunabeln.« Sie lächelte. »Aber natürlich nehme ich es dir übel. Du bist undankbar. So ist es nun mal.«
»Versuch zu begreifen, was du getan hast, Mom. Als ich diese
Kassetten fand, bin ich davon ausgegangen, mein Vater sei gewalttätig gewesen, ich dachte, er hätte dich verfolgt und wir wären umgezogen, weil du dich vor ihm verstecken musstest.«
»Du hättest nie in diese Häuser zurückgehen sollen. Hat dich das nicht belastet?«
»Doch.«
»Du musst verstehen, warum ich dich verstecken musste. Ich wollte dich in meiner Nähe haben. Du warst doch noch ein Baby, Ray.«
»Henry hatte das Sorgerecht, Mom.«
»Ja? Aber hattest du es nicht gut bei mir? Habe ich jemals getrunken in all der Zeit?«
»Du hast mich ihm gestohlen. Du hast mir ihn gestohlen.«
Sie dachte darüber nach. Dann seufzte sie. »Geht das schon wieder los? Nach allem, was ich für dich getan habe, machst du mir nichts als Vorwürfe.«
»Du hast mir die Wahrheit vorenthalten.« Henry Jackson wäre in diesem Jahr zweiundsechzig geworden. Das war nicht alt. Seine Überreste waren inzwischen in den Memory Gardens offiziell beigesetzt worden.
»Wäre es dir etwa
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