Wo die Toten ruhen - Psychothriller
er während Martins Sermons immer wieder daraufgedrückt hatte. Die Mine bildete eine graue Linie, wie heruntergefallene Zigarettenasche.
Dieser phantastische Entwurf war das Einzige, was in seinem Leben gerade gut war. Ohne Leigh. Ohne den Glauben an sich als einen guten Menschen.
Das Einzige.
Um Zeit zu schinden, wiederholte Ray: »Santorin.« Sollte
er ein weiteres altes Gebäude mit Seele an einem neuen Ort reproduzieren, wo es nicht hingehörte, wo es aussehen würde wie ein Niednagel auf einem schönen Hügel, angeschwollen, blendend weiß, hässlich, aufdringlich?
»Wir brauchen einen neuen Satz Pläne, Ray; Pläne, die Antonious ursprüngliches Konzept widerspiegeln. Und wir brauchen sie bald. Joey Zaremsky hat versprochen, er kann helfen.«
O ja, noch ein Stoß von Martin. Martin hatte den Trick raus, wie er den Auftrag in der Firma halten konnte - anfänglich begeisterte er den Kunden für Rays Genialität, während er im Hinterkopf schon den schlauen Plan verfolgte, Ray durch einen seiner talentierten Protégés zu ersetzen, falls Ray nicht spurte. Ray hatte Joey eingestellt, als dieser von der California Polytechnic State University abgegangen war, ein Frischling von der Uni, ohne Auszeichnungen, der nichts besaß, nicht einmal reiche Eltern, die ihn beauftragen konnten, ein repräsentatives Haus für sie zu bauen, das er potenziellen Auftraggebern zeigen konnte. Ray hatte sich seine Entwürfe angesehen, und sie hatten ihm gefallen, also hatte er ihm alles beigebracht, was er wusste. Er glaubte nicht, dass Joey etwas von Martins hinterhältigen Machenschaften wusste. Er vertraute Joey.
»Joey weigert sich, daran zu arbeiten, wenn du nicht beteiligt bist«, sagte Martin, als könnte er seine Gedanken lesen. »Er betrachtet dich als seinen wichtigsten Einfluss, als eine Art Mentor. Wir machen es folgendermaßen: Du machst den Entwurf, wobei es keinerlei Einschränkungen gibt, außer, dass du das tust, was dein Kunde will, und arbeitest im Einvernehmen mit dem jungen Architekten, den du, wie ich weiß, sehr schätzt. Alles, was du nicht machen willst, überlässt du einfach Joey.«
Jetzt war seine Chance gekommen, den leidenschaftlichen Verkäufer herauszukehren, der das alles auf den Kopf stellte.
Er konnte sie dazu bringen, dass sie endlich begriffen. Er konnte an Antonious Snobismus appellieren, ihm eine diplomatische Lektion erteilen, wie mittelmäßige Träume in Laguna aussahen. Er konnte.
Doch er hatte nicht die Energie, und vielleicht besaß er auch nicht die Fähigkeiten dazu. Der Augenblick verstrich.
Martin stand auf. Antoniou erhob sich ebenfalls.
»Es wird gut«, sagte er zu Martin, ohne Ray anzusehen. »Ray und ich verstehen uns. Wir werden wunderbar zurechtkommen.«
Kat machte um fünf Uhr Schluss mit der Arbeit und fuhr direkt zu ihrer Schwester.
»Gib mir mal den Puder«, befahl Jacki, die mit ausgestreckter Hand am Wickeltisch lehnte. Das Baby trug keine Windel.
»Setz dich. Ich mache das.«
»Drittes Regal von unten.«
Kat machte den blauen Behälter ausfindig und reichte ihn Jacki.
Der kleine Junge lag auf einer Papierwindel. Nachdem sie seinen annehmbar sauberen Hintern gepudert hatte, versuchte Jacki, den mittleren Teil der Windel hochzuziehen und die Seitenteile darüber zu klappen, damit der Klettverschluss haftete. Doch das Baby wehrte sich, schluchzte, verzog das Gesichtchen wie eine Brezel und ballte die winzigen Hände zu Fäustchen.
Jacki atmete tief durch und versuchte es noch einmal. Diesmal rollte das Baby sich nicht von dem weißen Polster herunter. »Erwischt!«, triumphierte Jacki und schlug die Seite der Windel um, die fürs Erste dafür sorgen würde, dass keine Katastrophen passierten. Sie hob ihr Neugeborenes auf. »Du kleiner Rabauke!«, gurrte Jacki. Ihre früher sorgfältig gestylten Stirnfransen hingen ihr strähnig ins verschwitzte Gesicht. »Kleiner
Kerl«, fuhr sie fort, küsste zuerst seine Zehen, dann seinen Bauch und schließlich seine feuchte Wange.
Sie ließ Kat ihn in sein Schlafzimmer tragen und in sein Bettchen mit der türkisfarbenen Bettwäsche legen.
Nachdem sie einige Minuten an der offenen Tür gelauscht hatte, schloss Jacki sie. Sie seufzten, dann lachten und kicherten sie gemeinsam über ihren zerzausten Zustand. Kat strich ihre Bluse glatt, die an der Schulter jetzt von einem Klümpchen Erbrochenem geziert wurde. Jacki strich sich die Haare glatt. Sie trug einen Bademantel, flauschige Pantoffeln, einen Gehgips am Fuß und
Weitere Kostenlose Bücher