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Wo die verlorenen Seelen wohnen

Wo die verlorenen Seelen wohnen

Titel: Wo die verlorenen Seelen wohnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dermot Bolger
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»Ja.«
    »Und wo haben sich die beiden kennengelernt?«
    »Unter diesem Dach, wo sie beide für eine übellaunige Herrin geschuftet haben.«
    Thomas McCormack nickte. »Meine Mutter hatte eine scharfe Zunge, Gott sei ihr gnädig. Und deine Großmutter hatte ein wunderbares Lachen, falls ihr Vorname Molly war. War ihr Vorname Molly?«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Dein Großvater Jack hat sie immer Mollser genannt, jedenfalls als er in deinem Alter war.«
    In Shane stieg eine Erinnerung an seinen Großvater auf dem Sterbebett empor, wo er mal bei Bewusstsein war und dann wieder nicht und plötzlich diesen Kosenamen seiner verstorbenen Frau ausgerufen hatte, als wäre sie gerade an seinem Bett erschienen.
    »Ich habe ihn diesen Namen nur einmal sagen hören.« Shane stiegen die Tränen in die Augen.
    Der alte Mann lächelte. »Wenn du vor siebzig Jahren hier in diesem Haus gewesen wärst, hättest du ihn ununterbrochen gehört. Deine Großmutter war eine wunderbare Tänzerin. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich einmal mit Molly in diesem Zimmer hier zu Jazzmusik getanzt habe, während dein Großvater auf der Lauer lag. Meine Mutter durfte uns nämlich keinesfalls dabei erwischen. Sie hätte Molly auf der Stelle entlassen, weil sie zu solchem Teufelszeug tanzte. Und ich hätte mir von ihr eine Strafpredigt anhören müssen, dass ein so vertrauter Umgang mit einem Dienstboten nicht schicklich sei, erst recht nicht bei einem Jungen, der für den Priesterstand vorgesehen war und am Tanz überhaupt keine Freude haben durfte. Na ja, ich war ein lausiger Tänzer. Das wirkliche Tanzen ereignete sich erst, wenn Molly und Jack miteinander durch diesen Raum glitten und ich vor der Tür Wache hielt.«
    Shane ließ den Blick durch das trostlose Zimmer mit den schimmeligen Wänden schweifen und versuchte, sich die Szene vorzustellen.
    »Ich kann gar nicht fassen, dass Sie meinen Großvater gekannt haben«, sagte er.
    Thomas McCormack beugte sich vor und flüsterte so leise, dass nur Shane es hören konnte: »Ich habe deinen Großvaterund deinen Urgroßvater gekannt. Ich kenne alle O’Driscolls bis zu den Zeiten zurück, als Blackrock noch Newtown-at-the-Black-Rock hieß. Wir sind alte Nachbarn, du und ich, schon seit Jahrhunderten. Genau das beunruhigt mich. Vielleicht haben sie dich hierhergeführt oder vielleicht bist du ja rein zufällig gekommen, aber tu dir selbst einen Gefallen, junger O’Driscoll, und vergiss, dass wir uns hier getroffen haben. Als ich vor ein paar Wochen unbemerkt in dieses Haus geschlüpft bin, war es meine Absicht, hier auch weiter unbemerkt zu bleiben.«
    »Vor wem verstecken Sie sich?«, fragte Geraldine.
    Der alte Mann drehte sich leicht verwirrt zu ihr um, als hätte er vergessen, dass sie auch im Raum war. »Ich erkenne in deinem Gesicht die Züge der Flemings«, sagte er. »Die Flemings waren immer großartige Schwimmer. Bist du eine Fleming?«
    »Ich möchte jetzt gehen«, sagte Geraldine barsch. »Lass uns verschwinden, Shane.«
    »Ja, das wäre klug von euch.« Der Greis stöhnte plötzlich auf und griff sich an die Brust. »Aber reich mir vorher bitte noch die Schmerztabletten in dem blauen Fläschchen da.«
    Geraldine gab ihm die Tabletten. Der alte Mann musste tatsächlich große Schmerzen haben, das war auf seinem Gesicht deutlich zu sehen. »Kümmert sich denn jemand um Sie?«, fragte sie. »Sieht ab und zu ein Arzt nach Ihnen?«
    Der Greis steckte sich zwei Tabletten in den Mund und schluckte sie mit einem großen Schluck Wasser aus einer der Tassen auf dem Tisch hinunter. »Keine Menschenseele weiß davon, außer dem Rechtsanwalt, der mich in Amerika aufgetrieben hat. Ihr könntet also sagen, dass ihr meine einzigen Freunde seid.«
    Shane und Geraldine wechselten einen unbehaglichen Blick.
    »Freunde ist vielleicht zu viel gesagt«, fügte der alte Mann hinzu, »aber ihr könntet jetzt mein Geheimnis verraten, die Macht habt ihr.«
    »Welches Geheimnis?«
    »Ich hätte nie gedacht, dass ich mein Zuhause noch einmal sehe. Ich wollte niemanden stören, aber leider habt ihr mich aufgestört. Ich bin in einer Geheimmission hier.«
    »Was für eine Geheimmission?«, fragte Shane.
    Der alte Mann lächelte. »Wenn ich euch das sagen würde, wäre es kein Geheimnis mehr. Ich erzähle es euch, wenn ihr mich als Mitglied in euren Club aufnehmt. Dann wird es das offizielle Geheimnis unseres Clubs werden. Ich war hier schon einmal Mitglied in einem Club, hoch droben in den Dubliner

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