Wo die Wahrheit ruht
auf keinen Fall annehmen.” Noch bevor Sarah protestieren konnte, hatte Grace den Umschlag geöffnet, das Geld herausgenommen und es der alten Frau in die Hand gedrückt. Sarah blieb vor Überraschung der Mund offen stehen.
“Aber warum denn nicht? Es entstehen ihnen doch Unkosten.”
“Bitte stecken Sie Ihr Geld weg, bevor ich mir die ganze Sache doch noch anders überlege.”
“Wird Ihr Flugticket erstattet?”
“Das weiß ich nicht, und es ist mir auch egal. Stecken Sie Ihr Geld weg.”
Sarah, die es nicht gewöhnt war, dass man ihr Befehle erteilte, starrte Grace einen Moment lang trotzig an. Da Grace jedoch mit keiner Wimper zuckte, lachte sie schließlich leise. “Ich hätte mir die Zeit nehmen sollen, Sie besser kennenzulernen, Grace. Möglicherweise hätte ich Sie gemocht.”
3. KAPITEL
I nnsbruck, Österreich
9. Oktober
FBI-Spezialagent Matt Baxter hielt an, um Atem zu schöpfen. Er drehte sich nach seinen beiden Kameraden, den österreichischen Polizeibeamten Stefan Birsner und Ernst Verlag, um. Der steile Aufstieg in dieser Höhe der Hintertuxer Gletscher stellte sogar für erfahrene Bergsteiger eine Herausforderung dar. Auch wenn sie so fit und durchtrainiert waren wie Matt, Stefan und Ernst.
Ihr Ausgangspunkt war die “Gefrorene Wand”, dort hatte der Lift sie abgesetzt. Die restliche Strecke bis zu der Hütte mussten sie zu Fuß bewältigen. Mit etwas Glück erwartete sie dort das Ende einer jahrelangen Verfolgungsjagd. Die Anspannung dieser Situation stand den drei Männern ins Gesicht geschrieben. Stefan hob die Hand zum Zeichen, Matt verstand, nickte und rückte weiter auf das Ziel vor. Dem Anschein nach stand das Glück heute auf ihrer Seite – erstens, weil sie so schnell jemanden aufgetrieben hatten, der den Lift bedienen konnte, und zweitens, weil die Pisten zu dieser frühen Morgenstunde noch verlassen dalagen. Falls ihr Plan fehlschlug, wären Zuschauer das Letzte, das sie gebrauchen konnten.
Matt blickte hoch. Die Hütte lag nur noch ein kleines Stück entfernt. Eingebettet in den Schnee wirkte sie einsam und verlassen –, was ihm Sorge bereitete. Laut letztem Bericht des Wiener Büros sollte Basim Rashad, einer der meistgesuchten Terroristen der Welt, die Hütte für diese Woche gemietet haben.
Aufgrund dieser Information hatte Matt die österreichische Polizei um Unterstützung gebeten und den Zugriff geplant. Das Angebot, einen Polizeihelikopter einzusetzen, hatte er abgelehnt. Das Geräusch eines Hubschraubers würde Rashad nur warnen. Außerdem konnte niemand voraussagen, wie dieser Verrückte reagieren würde, wenn er sich in die Enge getrieben fühlte. Matt hatte keineswegs die Absicht, mit der Asche eines weiteren Märtyrers nach Wien zurückzukehren. Seine Mission bestand darin, den Iraner lebend zu fangen. Immerhin galt dieser als Drahtzieher eines tödlichen Bombenanschlags auf die US-Botschaft in Indonesien und sollte deshalb so schnell wie möglich vor Gericht gestellt werden.
Matt blieb stehen und musterte die Hütte. Er hoffte, dass Rashad noch im Bett lag und nicht durch sein Fenster den Berg im Auge behielt. Doch wozu hätte er das tun sollen? Seine Pläne waren bisher immer perfekt aufgegangen. Nach einem zwölfmonatigen Katz-und-Maus-Spiel mit dem FBI hatte Rashad sich irgendwo zwischen Bangkok und Rangun in Luft aufgelöst.
Als sich die Hinweise verdichtet hatten, dass sich der Terrorist vermutlich nach Österreich abgesetzt hatte – und es sich jetzt im Zillertaler Mayrhofen Resort gut gehen ließ –, bezog Matt ohne zu zögern Quartier im nahe gelegenen Gerlos. Dort hatte er ungeduldig auf Instruktionen des Wiener Büros gewartet.
Eine Woche war seitdem bereits vergangen. Rashad musste sich mittlerweile in trügerischer Sicherheit wiegen.
Matt zog ein Fernglas aus seinem Rucksack und nahm die Hütte genauer ins Visier. Sie lag immer noch dunkel da, ohne Anzeichen von Leben. Nicht einmal eine Rauchfahne stieg aus dem Kamin.
Rashad musste entweder Temperaturen unter dem Gefrierpunkt lieben, oder jemand hatte ihn gewarnt und er war längst ausgeflogen.
Matt hörte einen leisen Pfiff und drehte sich um. Stefan deutete auf die Seitentür, neben der ein Paar Skier am Zaun lehnten.
Erleichtert signalisierte Matt den beiden Männern, die Rückseite des Hauses zu sichern. Er selbst würde den Haupteingang übernehmen.
Doch dann ging auf einmal alles ganz schnell.
Die Vordertür flog auf, ein Mann in kompletter Montur und Skiern unter den Füßen
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