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Wo du nicht bist, kann ich nicht sein

Wo du nicht bist, kann ich nicht sein

Titel: Wo du nicht bist, kann ich nicht sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Blaxill
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gespenstisch. Freya hatte ein paarmal von Emma gesprochen, aber sie hatte nie erwähnt, dass sie behindert war.
    Freya entschuldigte sich, dass sie mich hatte warten lassen. »Ich dachte, Tante Phil würde dich reinlassen, dann hättest du an den Computer gehen können oder so«, sagte sie. »Für den Fall, dass so was noch mal vorkommt – im Busch neben der Tür ist ein Ersatzschlüssel versteckt.«
    Irgendwie schaffte ich es nicht, noch länger wütend zu sein. Abgesehen davon war das Konservatorium faszinierend, total verschnörkelt und altmodisch und herrlich traditionell englisch, direkt an der Themse gelegen. Ich bewunderte die Aussicht und beobachtete, wie die Scheinwerfer der Busse und Taxis sich zwischen Bürogebäuden und Wohnblocks hindurchschlängelten. In Norfolk gab es nur ein paar Straßenlaternen, und die Läden machten pünktlich um sechs zu, sodass die meisten Leute nach Einbruch der Dunkelheit zu Hause blieben. An London könnte ich mich gewöhnen, dachte ich.
    Im Foyer zog Freya los, um uns etwas zu trinken zu besorgen, und ließ mich bei Emma stehen. Ich zermarterte mir das Hirn, was ich sagen sollte, und brachte es schließlich zu einem: »Studierst du auch hier?«
    Emma nickte. »Geige. Freya hat gesagt, du spielst Gitarre?«
    Â»Stimmt. Mach ich schon von klein auf.« Und weil ich es nicht lassen konnte, fragte ich: »Dann spricht sie also von mir?«
    Â»Manchmal. Du bist ein Glückspilz, weißt du das?«
    Â»Weil ich Freya habe? Ja. Das weiß ich.«
    Â»Ich meine, du hast richtig, richtig Glück.«
    Was wollte sie denn damit sagen? »Wie meinst du das?«
    Emma warf einen Blick quer durchs Foyer zu einer Gruppe von Leuten in unserem Alter. Ein Pärchen winkte ihr zu, aber es war klar, dass die beiden nicht zu uns rüberkommen würden.
    Â»In den letzten Wochen habe ich viel über Menschen gelernt«, sagte sie. »Als ich hier anfing, waren alle sehr nett zu mir, aber sie haben auch alle Abstand gehalten. Freya war die Einzige, die mich näher kennenlernen wollte. Und seitdem bemüht sie sich die ganze Zeit darum, dass ich dabei sein kann und Spaß habe. Ich kann dir gar nicht sagen, was das für mich bedeutet.«
    Mit drei Gläsern Orangensaft tauchte Freya wieder auf.
    Â»Warum wirst du denn rot?«, fragte sie, als sie die Getränke verteilte.
    Ich zuckte die Achseln, weil ich nicht sagen wollte, dass Emmas Worte mich zwar total stolz auf Freya gemacht hatten, mir aber gleichzeitig auch das Gefühl gegeben hatten, nicht besonders viel über ihr neues Leben zu wissen.
    Zum Glück erwartete Freya keine Antwort. Mit der freien Hand fasste sie an den Rollstuhl. »Kommt, stoßen wir zu den anderen.«
    Kurze Zeit später unterhielten wir uns mit einer Gruppe von Studenten, und langsam fing ich an, mich wohler zu fühlen. Die Leute schienen sich für mich zu interessieren und auch meine Geschichten vom Landleben witzig zu finden. Und endlich mal nicht wegen Freya. Die meisten schienen nicht einmal zu wissen, dass sie einen Freund hatte, was mich ein bisschen erstaunte. Aber es war gut zu wissen, dass ich hierherpasste. Nachdem ich im College so sehr ignoriert wurde, hatte ich mich nämlich schon gefragt, ob mit mir etwas nicht stimmte.
    Das Konzert erinnerte mich an meinen Auftritt mit Freya. Das Niveau war hoch, aber das überraschte mich nicht. Die Schüler hier hatten die besten Lehrer des Landes – die Lehrer, die auch ich hätte haben können. Und obwohl ich die Musik wirklich genoss, wurde ich wieder wütend auf Mum und Dad.
    Aber vielleicht war ich gar nicht so begabt, wie ich gern geglaubt hätte. In diesem Schuljahr hatte ich bisher noch nichts komponiert. Ich brauchte Freya, um Ideen zu entwickeln und die Töne zu entdecken, die nicht passten. In letzter Zeit hatte ich nicht mal Lust gehabt, Gitarre zu spielen. Und all diese Leute hier waren so gut. Wäre ich überhaupt am Konservatorium aufgenommen worden bei dieser Konkurrenz? Ich hatte keine Ahnung, aber jetzt war ich auf den Geschmack gekommen und wollte es umso mehr. Unbedingt.
    Ich warf einen Blick zu Freya hinüber. Mit einem Lächeln lauschte sie der Musik, und plötzlich hatte ich Lust, sie zu schütteln. Ich wollte brüllen, dass ich die Entscheidung hasste, die meine Eltern für mich getroffen hatten, dass ich an einem Ort festsaß, an dem die Leute mich nicht

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