Wo du nicht bist, kann ich nicht sein
stand auf und schaute mich im Raum um. Es herrschte ein unfassbares Chaos.
»Ich hab nichts damit zu tun, falls du das denkst«, sagte Hugh. »Ein paar von Grahams miesen Freunden haben sich volllaufen lassen und hielten es für einen WahnsinnsspaÃ, die Bude auseinanderzunehmen.«
»Deshalb ging die Klingel nicht.«
»Viel schlimmer ist, dass sie den Fernseher zerstört haben! Mistkerle.«
»Du wirst es überleben.« Ich fand meine Mütze unter dem Sitzsack, auf dem ich gesessen hatte.
»Du hast mich geweckt, ist dir das klar?«, sagte Hugh. »Ich hoffe, das macht dich glücklich.«
»Sorry. Du kannst jetzt wieder ins Bett gehen.«
Er gähnte und zog ein Hemd an, das auf einem der Sofas lag. »Vielleicht werd ich mir stattdessen mal die Beine vertreten. Wohin bist du denn unterwegs, süÃe Ros?«
»Irgendwohin.« Ich ging zur Tür, die Treppe runter und wieder raus auf die StraÃe. Hugh kam hinter mir her. Hund war auch mit nach drauÃen geflitzt und trottete die StraÃe entlang, immer wieder interessiert an Mülltonnen schnuppernd.
»Ist es okay, dass er so allein durch die Gegend stromert?«, fragte ich. »Er könnte überfahren werden.«
»Der nicht, das ist ein Ãberlebenskünstler. Abgesehen davon ist hier nicht viel Verkehr.« Hugh reckte das Gesicht himmelwärts. »So fühlt sich der Morgen also an.«
Ich machte ein gleichgültiges Geräusch und wir gingen schweigend zur U-Bahn-Station. Kurz davor drehte Hund sich um und verfolgte eigene Pläne.
»Tschüss«, sagte ich zu Hugh, als ich meinen Fahrschein in den Schlitz an der Sperre steckte.
Mein Zug wartete schon am Bahnsteig, und ich sprang rein, ganz froh, Hugh zurückgelassen zu haben. Aber als ich mich setzte, sah ich, wie er den Gang entlanggeschlendert kam.
»Gehen wir shoppen?«, fragte er und lieà sich auf den Platz neben mir fallen.
Ich funkelte ihn an. »Hör auf, mir hinterherzulaufen.«
»Ich lauf dir nicht hinterher. Ich begleite dich.«
»Du verschwendest dein Geld.«
»Nee.« Er wedelte mit einem Monatsticket. »Das ist Grahams. Ich leih es mir öfter mal. Was für ein Glück, dass es noch von gestern in meiner Tasche steckt, oder?«
Ich starrte ihn an. Er grinste von einem Ohr zum anderen.
»Triffst du dich jetzt mit deinem Liebsten, SüÃe?«
»Hast du dich eigentlich darauf spezialisiert, Leute zu nerven?«
»Du solltest weniger geheimnistuerisch sein. Das macht mich neugierig.«
»Hast du nichts Besseres zu tun? Du könntest dir zum Beispiel einen Job suchen. Du sagst doch immer, dass du so klamm bist.«
»Leichter gesagt als getan. Hast du dir mal die Arbeitslosenzahlen angesehen? Da leb ich doch lieber ein paar Monate von Graham, anstatt Bewerbungsformulare auszufüllen, die gleich in den Papierkorb geschmissen werden.«
Der Zug fuhr in Earls Court ein. Ich stieg aus und wartete auf die Bahn nach Richmond. Als Hugh auch in den nächsten Zug einstieg und sich neben mich setzte, geriet ich allmählich leicht in Panik. Wenn das ein Witz sein sollte, war er wirklich nicht mehr komisch. Ich versuchte, entschlossen zu klingen, als ich sagte: »Ich hab absolut nichts Interessantes vor. Was willst du eigentlich von mir?«
»Ich langweile mich, und du bist ein komisches Mädchen, das ich noch nicht einschätzen kann.«
Der Zug kam in West Kensington an. Mehrere Leute stiegen zu und besetzten die letzten Plätze, eine ältere Frau musste stehen.
Hugh stand auf. »Möchten Sie sich setzen?«
Die alte Dame nahm seinen Platz an, bedankte sich bei ihm und sagte, er sei ein Gentleman. Hugh lächelte, zog ab und hielt sich an einer Stange bei der Tür fest. Plötzlich war ich verwirrt. Es war schon ewig her, dass ich das letzte Mal gesehen hatte, wie jemand einem anderen seinen Platz anbot. Leichter war es, so zu tun, als hätte man nichts bemerkt, so wie es eben alle anderen im Waggon gemacht hatten.
Als wir uns Richmond näherten, stand ich auf.
Hugh zog die Augenbrauen hoch. »Warum guckst du mich so an?«
»Du hast deinen Platz hergegeben.«
»Na und?«
»Nichts«, sagte ich schnell, und Hugh verdrehte die Augen.
Wir stiegen aus. Nachdem ich mich ein wenig orientiert hatte, fand ich die HauptstraÃe, bog ab und ging über einen Grünstreifen in eine am Fluss gelegene StraÃe mit
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