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Wo du nicht bist, kann ich nicht sein

Wo du nicht bist, kann ich nicht sein

Titel: Wo du nicht bist, kann ich nicht sein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Blaxill
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wieder ein langes Gespräch wollte – wenn Jonathan aufgewühlt war, konnte er einen gefühlsmäßig ganz schön aussaugen. Aber er war toll gewesen, als ich Unterstützung gebraucht hatte, deshalb vermutete ich, dass sich bei uns irgendwie schon alles wieder ausglich.
    Ich hätte ihn anrufen können. Ich hatte seine Nummer zu Hause und seine Handynummer. Aber ich hasste es, Leute anzurufen – irgendwie fühle ich mich nicht wohl dabei. Jonathan war zwar eigentlich kein Fremder, aber er hatte meine Stimme noch nicht gehört, und ich hatte Angst, was Blödes zu sagen. Online hatte ich genug Zeit, mir Sachen auszudenken, die sich reif anhörten, aber am Telefon könnte er merken, wie alt ich wirklich war.
    Â»Hi, danke für den Anruf«, tönte Jonathans Handy-Mailbox. »Ich bin zurzeit unterwegs und jage Daleks, aber wenn ich überlebe, rufe ich ganz bestimmt zurück, sobald ich wieder im TARDIS bin.« Ich sah keinen Sinn darin, eine Nachricht zu hinterlassen, also legte ich auf. Sollte ich ihn zu Hause anrufen? Es war schon nach halb elf, ein bisschen spät, aber ich würde es riskieren müssen.
    Â»Hallo?«, sagte eine weibliche Stimme. Wahrscheinlich seine Mutter, die nicht mal wusste, dass es mich gab.
    Â»Hi«, nuschelte ich. »Kann ich mit Jonathan sprechen?«
    Â»Es tut mir leid, der ist nicht zu Hause. Darf ich fragen, wer am Apparat ist?«
    Â»Nur eine Freundin«, sagte ich schnell. »Ist er zu Freya nach London gefahren?«
    Â»Ja …« Jonathans Mum klang jetzt argwöhnisch und ich legte schnell auf. Manchmal frage ich mich, ob ich mich nicht unnötig in Schwierigkeiten bringe.
    Mach schon!, dachte ich und starrte auf mein Handy. Sag mir endlich, dass mit dir alles okay ist.
    Jonathan
    23.25 Uhr
    Am U-Bahnhof Leicester Square hatte ich nur einen Gedanken: So viele Leute! Jemand hielt mir einen Flyer unter die Nase, lachende Gruppen standen vor Pubs, Restaurants und Theatern und drängten sich bis auf die Straße, ohne auf Busse und Taxis zu achten. Eine Frau überholte mich und stieß mich dabei fast die Stufen zur U-Bahn runter.
    Ich ging zum Leicester Square. Der Platz hatte sich nicht verändert, seit ich vor ein paar Jahren das letzte Mal da gewesen war: Kinos, riesige Neonreklamen und ein kleiner Park in der Mitte. Ich schlenderte herum und langsam ging es mir besser. Zu Hause wäre ein Jugendlicher aufgefallen, der allein unterwegs war, aber hier bemerkte mich keiner. Ich vergaß meine Ängste, meine Beine brachten mich einfach dahin, wohin sie wollten, und ich dachte eigentlich an nichts …
    â€¦ bis mich jemand schmerzhaft anrempelte. Hände packten meine Schultern, ich wurde gegen eine Wand geschubst.
    Â»Aus dem Weg, du kleiner Scheißer.«
    Ich schnappte nach Luft und kam mit einem Ruck wieder zur Besinnung. Ein furchteinflößender Kerl mit einem Totenkopf-Tattoo auf der Schläfe stand mit wutverzerrtem Gesicht direkt vor mir. Mein Überlebensinstinkt regte sich und ich riss mich los. Der Mann machte einen Schritt, so als wollte er mich verfolgen, dann änderte er seine Meinung und brüllte mir stattdessen eine Tirade übler Beschimpfungen hinterher. Ich bog um eine Ecke und schlängelte mich durch ein paar Seitenstraßen, bis ich mich sicher fühlte. Keuchend suchte ich mir den Weg zurück zum Platz, wo ich langsam wieder zu Atem kam.
    Innerhalb von zehn oder fünfzehn Minuten hatte sich hier alles verändert. Die gut gekleideten Theaterbesucher waren verschwunden. An ihrer Stelle standen jetzt Leute wie der Typ, der mich angerempelt hatte, in Gruppen herum und redeten zu laut. Einige trugen Jeans, die beinahe auseinanderfielen, andere hatte krasse Piercings und Tätowierungen, und einem baumelte eine gefährlich aussehende Kette aus der Jeansjacke. Ihre Gesichter wirkten grob und hart, und ich musste gar nicht nah rangehen, um den Alkohol riechen zu können. Auch müde wirkende Obdachlose waren da. Eine, ein junges Mädchen, war mir besonders unheimlich. Ihre Haare waren verfilzt und sie lag auf der Seite in einem Schlafsack und murmelte wirr vor sich hin. Ich vermied es, ihr in die Augen zu schauen. Plötzlich merkte ich allzu deutlich, wie die Leute mich beobachteten. London gehörte jetzt ihnen, und sie wussten, dass ich hier nichts zu suchen hatte.
    Trotz meines Mantels fing ich an zu zittern. Wie hatte ich es nur für eine gute Idee

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