Wo du nicht bist, kann ich nicht sein
hätte, dass sie deswegen Ãrger kriegt. Sie hat wirklich nichts Schlimmes gemacht.«
»Und er auch nicht, Livy. Wenn duâs nicht glaubst, kann ich dir unsere Chats zeigen«, sagte Rosalind. »Ich hab sie alle gespeichert.«
»Arme Irre«, sagte Olivia. »Du solltest dir ein paar Freunde im richtigen Leben suchen.«
»Warum soll Jonathan denn kein Freund aus dem richtigen Leben sein? Da ist er doch.« Rosalind ballte die Fäuste, ihr Gesicht lief rot an. »Du machst immer alles schlecht, was ich tu!«
»Hört mal, wollt ihr die Sache nicht einfach auf sich beruhen lassen?«, sagte ich. »Ros, wenn du mir heute wieder helfen willst, sollten wir uns bald auf den Weg machen. Okay?«
»Okay«, sagte Rosalind und warf Olivia einen Blick zu, der hätte töten können.
»Mach, was du willst«, blaffte Olivia. »Ist mir doch scheiÃegal.«
Sie stapfte davon, wahrscheinlich um ihren Freunden von dem fremden Typen zu berichten, den sie im Bett ihrer Schwester entdeckt hatte.
Rosalind trat verlegen von einem Fuà auf den anderen. »Das hab ich so nicht gewollt«, sagte sie.
»Tut mir leid, wenn ich dich in eine peinliche Situation gebracht habe.«
Rosalind seufzte. Ohne mich anzusehen, ging sie an den Schrank und holte sich eine Latzhose heraus. »Ich zieh mich in Dads Zimmer um«, murmelte sie. »In einer Viertelstunde können wir los.«
Rosalind
Samstag, 25. Oktober, 10.10 Uhr
Olivia kam ins Badezimmer, als ich mir schnell die Zähne putzte.
»Ziehst du wirklich mit diesem Typen los?«, fragte sie.
»Er hat einen Namen«, sagte ich. »Jonathan.«
»Wie auch immer. Lass dein Handy eingeschaltet, okay?«
Ich spülte den Mund aus. Im Spiegel konnte ich sehen, wie sie seufzte. »Tut mir leid, dass ich dich angebrüllt hab, aber das war ein Schock. Wenn sich dein Freund als der Axtmörder oder so was entpuppt hätte, hätte Dad mir die Schuld gegeben.«
Ich drehte mich um und wischte mir das Kinn mit dem Waschlappen ab. »Wir sind wirklich nur Freunde.«
»Du hast wohl Tomaten auf den Augen. Bei mir wäre der nicht nur ein Freund .«
So ganz ohne spöttische Bemerkungen konnte Olivia sich nicht mal entschuldigen. »Bis später«, sagte ich und drängelte mich an ihr vorbei.
Dieses Mal war die U-Bahn fast leer, und wir konnten uns hinten im letzten Wagen gegenübersitzen.
Ich trug meine Seventies-Latzhose und die Retro-Mütze. Erst hatte ich gezögert, weil ich mir nicht sicher war, ob das vielleicht zu viel war, aber dann sagte ich mir, dass Jonathan auf Mädchen stand, die sich so anzogen. Es hatte allerdings nicht so richtig was gebracht, denn er hatte zwar bemerkt, was ich anhatte, aber sein Kommentar war nur gewesen: »Freya hat auch so eine Mütze« â was das Letzte war, was ich hatte hören wollen.
»Wie ist der Plan?«, fragte ich Jonathan.
»Verbindung aufnehmen zu den Leuten, die ich gestern nicht erreicht hab. Aber Hoffnungen mache ich mir nur bei Freyas Nachbarn zu Hause in Norfolk und ihrer Freundin Emma. Die erreiche ich telefonisch nicht, aber ich weiÃ, wo sie wohnt.«
»Ich kapier immer noch nicht, warum du ihre Eltern nicht anrufst.«
Er tat so, als würde er sich die Kehle durchschneiden. »Ihr Dad ist krank, er würde sich Sorgen machen, und ich wette sonst was, dass ihre Mum dann mir die Schuld geben würde. Ich hab Freya schon genug aufgeregt, da müssen die nicht auch noch über sie herfallen.« Er seufzte. »Vielleicht ist das alles aber auch bloà Zeitverschwendung und Freya ist von den Death-Line- Kannibalen geschnappt worden.«
»Den was?«
» Tunnel der lebenden Leichen , Horrorfilm aus den Siebzigerjahren. Das sind so Leute, die unter der Erde leben. Die schnappen sich spät nachts einsam Herumwandernde und fressen sie.«
»Krass.«
»Als ich zehn war oder so, hab ich mich runter ins Wohnzimmer geschlichen, nachdem meine Eltern ins Bett gegangen waren, und mir den Film angeguckt. Danach war mir tagelang kotzübel.« Jonathan machte eine Pause. »Allerdings ist es wahrscheinlicher, dass Freya irgendwo tot in einem Graben liegt.«
»Jono, jetzt hör auf! AuÃerdem gibt es keine Gräben in London.«
Wir lächelten uns freudlos an.
Als der Zug durch den Tunnel fuhr, ging mir auf, wie grotesk das alles war. Unsere Situation hätte die
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