Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen
Island jeder berühmt. Nach einer Weile im Land wird jedem auffallen, dass die Isländer die charmante Angewohnheit haben, einander gegenseitig von der besten Seite darzustellen. Und das tut man am liebsten, indem man erzählt, wer für was berühmt ist – was alles Mögliche sein kann. So begegnet man vielleicht jemandem, der einmal Mitglied in der Band mit dem längsten Song in Island war (45 Minuten!) oder dem Inhaber des Cafés mit der ältesten Espressomaschine des Landes. Oder man lernt die Frau kennen, die dafür berühmt ist, eine der größten privaten Steinsammlungen der Welt zu besitzen. Falls jemand über kein oder zumindest kein gesichertes Alleinstellungsmerkmal verfügt, kommt eben der Zusatz »eine der« oder »vermutlich« davor – und schon stimmt es. Und so wird jeder Islandbesucher auf seiner Reise Menschen begegnen, die »zu den berühmtesten« Künstlern, Bauern, Filmemachern, Schriftstellern, Rocksängern, Politikern, Köchen oder Seemännern Islands gehören. Man ist auf hinreißende Art stolz auf das, was man hat, und auch auf das, was man für sich entdeckt und kurzerhand »eingebürgert« hat. Als ich einmal in einem Restaurant saß, in dem man mir ein Menü mit nur isländischen Zutaten servieren wollte und ich im Spaß fragte, ob auch der Wein aus Island sei (es war ein deutscher Weißburgunder), antwortete die Kellnerin: »Oh, wir mögen ihn so, wir nennen ihn isländisch!«
Diese reizende Art der humorvollen Wertschätzung zieht mir immer wieder die Schuhe aus. Es ist, als wäre jeder und jede Idee
jederzeit willkommen. Der Schriftsteller Sjón sagte einmal: »Wir sind so wenige hier, deshalb wird jedes Talent gebraucht.« Und eine Fremdenführerin erklärte es mir so: »Wir sind so wenige, dass jeder von uns entweder ein König oder eine Königin ist.«
Als Hulda und ich zwischendurch einmal einen anderen Weg fahren und dabei am Genforschungszentrum vorbeikommen, sagt sie: »Weißt du, man kann über die Datenbank sagen, was man will. Aber der Chef sieht einfach gottverdammt noch mal sehr gut aus.« Sie würde das wissen, schließlich trainiere er im selben Fitnesscenter wie sie und manchmal neben ihr. So ist Island. Selbst wenn es Debatten gibt, nie vergisst man hier, die Sache aus verschiedensten Blickwinkeln zu betrachten und vor allem nicht, sie auch menschlich zu sehen. Die Datenbank mit den Krankheitsdaten aller wurde im Übrigen nie erstellt.
Als Hulda und ich das zweite Mal die Sæbraut entlangfahren, zeigt sie mir ein elegantes weißes Holzhaus, das auffällt zwischen den modernen Bürogebäuden, die sonst die Straße am Meer umsäumen. »Das ist Höfði«, sagt Hulda. Es ist das Reykjavíker Gästehaus und ebenfalls ein berühmter Schauplatz des Kalten Krieges. Denn hier fand vom 10. bis 12. Oktober 1986 das legendäre Gipfeltreffen zwischen Ronald Reagan und Michail Gorbatschow statt. Zwei Tage lang schlossen die Staatsmänner sich in diesem Haus ein, während die Reporter vor der Tür gebannt warteten und alle Welt auf Island schaute. Schließlich ging es um einen Ausweg aus dem Rüstungswahnsinn der beiden Großmächte. Reagan, der alte kalte Krieger, und Gorbatschow, der damals relativ neue sowjetische Reformer, hatten sich zuvor bereits in Genf angenähert. In Reykjavík verhandelten sie dann überraschend über die vollständige Beseitigung der atomaren Mittelstreckenraketen beider Länder. Für einen kurzen Moment sah es sogar so aus, als würde es zu einer Einigung kommen. Doch
dann scheiterten die Staatsmänner, weil Reagan nicht auf Tests für das Raketenabwehrsystem und die Weltraumverteidigung verzichten wollte. Gorbatschow hatte von den Amerikanern verlangt, dass sie sich auf theoretische Forschung beschränkten.
Es herrschte Enttäuschung, als die beiden vor die Tür des weißen Holzhauses Höfði traten. Doch die war im Nachhinein verfrüht. Denn das Treffen in Reykjavík läutete doch auf eine Art das Ende des Kalten Krieges ein. Gorbatschow gab in Bezug auf die Weltraumverteidigung nach und so wurde ein Jahr später endlich der von der ganzen Welt ersehnte Vertrag über die Vernichtung der atomaren Mittelstreckenraketen besiegelt.
»Was Gorbatschow und Reagan damals allerdings nicht wussten«, sagt Hulda und sie kichert, »ist, dass es in diesem Haus spukt.« Der Geist wohnt schon sehr lange dort und ist vermutlich eine Frau.
Isländische Delikatessen
»Gehen wir bald Schafsköpfe essen?«, fragt Gisli am nächsten Tag in der Redaktion. »Bald«,
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