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Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen

Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen

Titel: Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Walter
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einmal zu mir, dass die Strecke hinter Vík nicht spannend sei. Da seien doch nur Lavafelder. Doch ich kriege nicht genug von ihnen. Es ist die Gleichzeitigkeit von Urgewalt und Sanftheit, die mich in Island immer wieder berührt. Besonders dann, wenn trotz allem in der harschen, reduzierten Landschaft am Wegesrand zarte Blümchen wachsen. Selbst die isländische Nationalhymne enthält übrigens diese Elemente des Temperaments der Extreme und der Zärtlichkeit: »Oh, Gott unseres Landes! Oh unseres Landes Gott« beginnt sie. Bald gefolgt von: »Für dich ist ein Tag wie tausend Jahre, und tausend Jahre ein Tag, nicht mehr, ein Blümchen der Ewigkeit mit zitternden Tränen, das zu seinem Gott betet und stirbt.« Und meine Lieblingsstelle: »Oh, Gott, oh Gott! Wir verneigen uns und opfern dir brennende, brennende Seelen.«
    Das Lavafeld reicht bis zum Ort Kirkjubæjarklaustur. Es kommt von jenem monströsen Laki-Ausbruch, der beinahe dazu geführt hat, Island zu evakuieren. Damals versammelte der Pfarrer des Ortes alle Bewohner in der Kirche und hielt einen
verzweifelten Gottesdienst ab, während die Lava in ihre Richtung waberte. Er ging als Feuerpredigt in die Geschichte ein. Denn die Lava stoppte kurz vor der Kirche.
    In Island spürt man allerorten, wie übermächtig die Launen der Natur sind. Vielleicht schaffen die Isländer es deshalb so gut, das Leben und sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen, überlege ich. Weil man weiß, dass man klein ist und die Natur groß. Und dass nichts für immer ist. Es ist, als hätten die Isländer etwas ganz Fundamentales verinnerlicht, das wir längst vergessen haben: Dass Veränderung das Natürlichste ist auf der Welt. Dass es keinen Sinn macht, festzuhalten an den Dingen. Ihr Land erinnert sie jeden Tag daran.
    Ich nutze die Zeit im Auto, um noch einmal Revue passieren zu lassen, was ich über Island bereits gelernt habe, während ich durch die Sandwüste Skeiðarársandur auf den Vatnajökull zufahre, den größten Gletscher Europas. Die schwarze Ebene der Skeiðarársandur hatte ich schon vom Flugzeug aus gesehen. Es ist der Ort, an dem unzählige Wasserarme über die öde Ebene mäandern, ein Stück Land, das Schmelzwasserfluten infolge von Vulkanausbrüchen unter der Eiskappe immer wieder plattgemacht haben.
    Was also wusste ich schon von diesem Land? Die Erdkruste ist dünner, die Natur wilder und die Menschen sind es auch, zumindest nachts am Wochenende, da werden sie vulkanisch. Sie lieben schwarzen Humor, Poesie, ein schnelles Leben und verrückte Ideen. Man macht hier einfach, was einem in den Sinn kommt. Dabei nimmt man die Dinge nicht allzu ernst. Schwermütig jedenfalls, wie man das von den Menschen auf einer einsamen Insel im hohen Norden vielleicht erwartet hätte, kommen sie mir nicht vor. Im Gegenteil. Die Zeiten der Unterdrückung hat man mit stoischem Trotz ausgehalten und dabei den Eigensinn
und die eigene Sprache nie verloren. Und immer, wenn es richtig schlimm wurde, hat man sich Geschichten erzählt.
    Vielleicht sind die Geschichten aus Island deshalb mitunter grotesker. Weil sie mithalten müssen mit den Extremen des Wetters und der Natur. Ich staunte etwa nicht schlecht, als ich zum ersten Mal isländische Märchen las, die archaischer sind als unsere. Da kommen üble Trollweiber vor, die rülpsen und furzen und ewig unbändigen Hunger haben auf Menschenfleisch. Oder Riesen, denen der Rotz nur so aus der Nase trieft. Es werden auch Axthiebe verteilt, dass es einen nur so gruselt. Und in einem Märchen fallen ein Mann und eine Frau mit Eimern voller Brei von einer hohen Leiter, woraufhin ihre Schädel am Boden zerbersten und die Spritzer von ihren Gehirnen und die Kleckse von dem Brei in der ganzen Welt herumfliegen. Womit übrigens ganz banal die Beschaffenheit des Bodens erklärt wird. Denn das Märchen schließt mit den Worten: »Und wo Hirnspritzer von dem Mann oder der Frau auf Steine kamen, da wurden sie zu weißen Flecken, und aus den Breiklecksen wurden die gelben Flecken, und beide Arten kann man noch heute auf dem Gestein sehen.« Auch habe ich langsam eine Theorie, weshalb Isländer Superlative so lieben und sie ständig verwenden: Man muss eben von herausragenden Dingen erzählen, um neben solch einer Landschaft zu bestehen. Und zur Not trickst man ein wenig. Wir haben die meisten Literaturnobelpreisträger der Welt – pro Kopf, sagen die Isländer gern. Umgerechnet auf die Anzahl der Leute im Land klappt das fast immer. Denn sie haben

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