Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen
einen, Halldór Laxness.
Es ist ein erhabener Moment, wenn man die Gletscherzungen des Vatnajökull, die zwischen den Bergen hervorquellen, zum ersten Mal sieht. Wie schreiben die meisten Literaturnobelpreisträger Islands, also Laxness, so schön: »Wo der Gletscher aufragt,
hört das Land auf, irdisch zu sein, und die Erde hat Anteil am Himmel, dort wohnen keine Sorgen mehr, und deshalb ist die Freude nicht nötig, dort herrscht allein die Schönheit, über jede Forderung erhaben.«
Unter der immensen Eiskappe des Gletschers, der ein Zwölftel von Island bedeckt, liegt der Grimsvötn, der ausgerechnet jetzt ausbricht, während ich diese Zeilen schreibe. Schon im Jahr 1996 kam es zu einem heftigen Ausbruch unter dem Gletscher. Die Schmelzwasserflut sprengte unter anderem eine Brücke. Ein Teil davon ist heute als Andenken auf der Ebene bewahrt.
Kurz nach dem Skaftafell Nationalpark, wo viele auf Eiswandertouren über die gezackte Ewigkeit der Gletscher gehen, kommt Ingolfshöfði. Hier auf der vorgelagerten Landzunge, die wie ein riesiger Wal aussieht, landete Islands erster Siedler Ingólfur Arnarson. Mit einem Traktor kann man im Sommer heute von der Farm Hofsnes aus eine Watt-Tour zur Landzunge und zu den windumtosten Klippen machen, an denen Papageitaucher, Raubmöwen, Basstölpel, Trottellummen, Tordalken und weiß der Geier wer alles brütet. Der Outdoor-Guide Einar, der mit seiner Familie auf der Farm lebt und die Tour führt, erzählt dabei Geschichten von Ingólfur und von den verschiedenen Vögeln. Nur als wir auf das Thema Abstammung kommen, sagt er etwas Erstaunliches: Weil er aus dieser Gegend hier kommt, sei er wahrscheinlich ein Nachfahre von Flosi. »Und darauf könne man wahrlich nicht sehr stolz sein.« Schließlich habe Flosi Njál verbrannt. Für einen Moment klingt das alles ziemlich ernst. Dann räumt er ein: »Gut, das ist natürlich nur Prosa.« Er hatte von der Njáls- Saga gesprochen.
Gletscherlagune
Die Kälte der Gletscher kann man übrigens fühlen. Ein eisiger Hauch schlägt einem in ihrer Nähe entgegen. Bald nach Ingólfshöfði kommt die Gletscherlagune Jökulsárlon. Riesige Eisbrocken schwimmen in einem Gletschersee. Als ich das erste Mal hier war – damals benutzte man noch Kameras mit Filmen – habe ich sie hier alle verknipst. Weil das zarte Blau, in dem das Eis hier strahlt, so betörend ist. Besonders, wenn dazwischen Seehunde spielen. Außerdem kracht und plätschert und knackt es unaufhörlich. Wie in einem Whiskyglas mit frisch eingefüllten Eiswürfeln, nur um ein Vielfaches lauter. Die Lagune ist permanent in Bewegung. Ab und zu bricht etwas ab von den dicken Brocken, deren wahre Größe unter Wasser liegt. In dieser Zauberwelt wurden übrigens Szenen von James Bonds Stirb an einem anderen Tag gedreht. Die Isländer schmunzelten. James Bond, in Island? Wie absurd.
Es wird schon dunkel, als ich mich losreißen kann. Ich fahre nach Höfn, einem kleinen Hafenort kurz vor den Ostfjorden. Es sind noch knapp 50 Kilometer, als ich auf die Tanknadel schaue, die verdächtig nah am roten Bereich klebt. Verdammt, denke ich,
während ich durch die Einsamkeit fahre. Was mache ich, wenn ich stehen bleibe? Hier gibt es keine Tankstellen mehr. Und selbst wenn ich jetzt noch eine Zapfsäule fände, wäre sie nur mit Kreditkarte bezahlbar – und ich habe meine PIN vergessen. Ich rase durch die Dunkelheit und mit mir die Gedanken. Was macht man, wenn man spätabends in der Kälte im Niemandsland allein stehen bleibt? Seit Ewigkeiten ist mir niemand mehr entgegengekommen. Ich trete aufs Gas. Es hagelt. Könnte ich zur Not im Auto schlafen oder würde ich erfrieren? Ab und zu sehe ich jetzt das Licht eines einsamen Hofes. Kurz bin ich erleichtert. Doch dann frage ich mich, wie es wäre, wenn man da einfach hinginge und sagte: »Entschuldigung, haben Sie etwas Benzin?« Ich meine: Wer wohnt auf so abgelegenen Höfen? Ich stelle mir plötzlich die verrücktesten Schrate vor. Und Szenen aus Shining . Solche einsamen Gegenden bin ich einfach nicht gewöhnt. Da, wo ich lebe, kriegt man zu jeder Tages- und Nachtzeit Benzin oder einen Bus. Hier bin ich im Nichts. Und kein Benzin heißt, ausgeliefert sein. Woher kommt es eigentlich, dass in der isländischen Wildnis ab und zu Menschen verschwinden, frage ich mich in selbst ausgedachten Horrorszenarien. Während sich die Tanknadel immer tiefer auf den Punkt null zubewegt. Wobei das natürlich großer Unsinn ist. Deutlich wahrscheinlicher als
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