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Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen

Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen

Titel: Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Walter
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heranzugehen. Aber sie hatte auch auf mich abgefärbt. In Island habe ich immer das Gefühl, ich müsse nichts weiter tun, als da zu sein – und schon fliegen mir die Geschichten zu. Fast so, als entscheidet das Land selbst, was es mir erzählt. Oder Gisli.
    »Ich weiß, worüber du mal schreiben kannst«, schrieb er mir einmal in einer Mail und schickte mich ein Jahr nach meinem ersten Islandaufenthalt auf die Insel Heimaey, die einzig bewohnte der 14 Westmänner-Inseln, die vor der südwestlichen Küste Islands liegen. Heimaey ist vor allem durch einen spektakulären Vulkanausbruch bekannt. Im Januar 1973 war der Vulkan Eldfell ausgebrochen, der mitten auf der Insel liegt. Und nur dem schlechten Wetter war es zu verdanken, dass alle Inselbewohner gerettet wurden. Denn die Fischer waren an diesem Tag nicht rausgefahren und konnten daher alle der gut 5 000 Bewohner in Sicherheit bringen.
    Aber deshalb schickte mich Gisli nicht auf die Insel, sondern wegen eines Spektakels, das sich jedes Jahr dort ereignet: Den Papageitauchernächten. Auf den Inseln ist nämlich eine der größten Papageitaucherpopulationen im Nordatlantik zu Hause. Die Vögel, die mit ihrem schwarz-weißen Federkleid ein bisschen wie Pinguine mit bunten Schnäbeln aussehen, leben zwar im Winter auf offener See. Doch im Frühjahr kommen sie auf die Inseln, um auf den grasbewachsenen Klippen zu brüten. Im
August werden ihre Jungen flügge und dann findet auf Heimaey das schöne Spektakel statt. Die Inselkinder retten die Vogeljungen, die sich bei ihren ersten Flugversuchen verflogen haben. Denn statt von den Felsvorsprüngen hinunter zum Meer zu segeln, segeln manche auf die Insel. Wahrscheinlich halten sie die Straßenlaternen und die Lichter in den Häusern für den Mond, der sich auf dem Meer spiegelt, und fliegen ihm entgegen. Das ist natürlich nur eine Theorie, aber eine, die man gern erzählt. »Sie sind jung, sie machen halt Fehler«, sagte ein Mann von der Insel zu mir und zuckte verständnisvoll mit den Schultern.
    Für die kleinen Papageitaucher allerdings ist die Bruchlandung auf der Insel gefährlich. Denn sind sie erst einmal auf die Straßen von Heimaey geplumpst, kommen sie nur schwer wieder hoch. Sie sind gute Taucher, aber schlechte Flieger. Und so laufen sie Gefahr, von Autos überfahren zu werden oder von Möwen oder Katzen gefressen. Deshalb kommen ihnen die Inselkinder zu Hilfe. Zwei Wochen dauert die Saison der Fluganfänger. Sie fliegen abends, wenn es dunkel ist, und in diesen Nächten dürfen die Inselkinder so lange aufbleiben, wie sie mögen, und die abgestürzten Bruchpiloten einsammeln.
    Dann kontrollieren kleine Gangs die Gassen. In Kapuzenpullis, die Mützen tief ins Gesicht gezogen, schwirren sie die ganze Nacht über die Insel, an den Fischfabriken vorbei, der Tankstelle, dem Fähranleger. In den Händen Taschenlampen und Pappkartons. Für die Kinder ist es ein Abenteuer und natürlich geht es darum, wer am meisten Vögel findet. Die flauschige Beute kommt in Kartons, die Kartons über Nacht in die Garage und am nächsten Tag lassen die Kinder die Vögel frei, auf dem Meer, wo sie in Sicherheit sind.
    Denke ich an Island, denke ich oft an diese Geschichten von Naturverbundenheit und heiler Welt. »Bei uns lässt man die Kinder
raus, wenn sie zwei sind, und holt sie wieder rein, wenn sie 18 Jahre alt sind«, sagte einmal ein Mann auf einer kleinen Insel im Norden zu mir, die Hrisey heißt. Ein idyllisches Eiland mitten im Fjord, auf dem knapp 200 Leute leben und über 40 Vogelarten nisten. Darunter Eiderenten, Goldregenpfeifer, Regenbrachvögel, Austernfischer und Alpenschneehühner (Letztere machen ein Geräusch, das wie ein Rülpsen klingt).
    Auf dieser Insel lebte auch eine Frau, die mich mit ihrem freundlichen Gesicht und dem herzlichen Lachen an Astrid Lindgren erinnerte. Sie erzählte mir, dass ein Geist in ihrem Haus lebte. Es war ein Junge, der sich beim Fischen mit seinem Vater zu weit aus dem Boot gelehnt hatte, rausgefallen und ertrunken war. Er saß manchmal auf der Treppe im Flur und ließ dort seine Beine baumeln. Irgendwann fing sie an, mit ihm zu sprechen.
    »Dabei spreche ich eigentlich nicht gern mit Geistern«, sagte sie. Weil das ziemlich peinlich sein kann. Einmal unterhielt sie sich mitten auf der Straße in Reykjavík mit einer Frau und bemerkte erst gar nicht, dass sie tot war. Das war ihr sehr unangenehm. »Was sollten denn die Leute denken?« Denn außer ihr sah sie ja niemand. Ob sie auch

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