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Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen

Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen

Titel: Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Walter
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kleiner Snack«, sagt er und reicht ihn mir. Die Haut sieht aus wie Schuhleder. Vor dem Verzehr werden die Schafsköpfe
eine Stunde lang in Salzwasser gekocht und zusammen mit süßem Kartoffelpüree und Rübenmus serviert.
    »Ha, deiner hat Schnupfen!«, ruft jetzt Dagur, der ebenfalls mitgekommen ist, und prustet los. Und zwar weil meinem angesengten Schafskopf gelbes Rübenmus an der Schnauzenspitze klebt. Ich bin den beiden ziemlich dankbar. Denn ohne den isländischen Humor wäre ich wahrscheinlich nie bis hierher gekommen.
    Gisli erzählt, dass es die Traditionsspeise bei seiner Familie früher immer zu Weihnachten als Festessen gab. Außerdem haben sie früher auch das Hirn mitgegessen. »Aber mach dir keine Sorgen«, sagt er und dreht seinen um: »Hier gibt’s bloß dumme Schafsköpfe!« Die Gehirne sind entfernt. Na dann, denke ich wenig erleichtert und starre auf den halben Schafskopf vor mir. Das Ohr ist ab. Aber ansonsten ist alles dran. Auf meinem Teller liegt ein Gesicht.
    Der erste Schnitt ist das Schlimmste. Nicht an die Lämmer denken. Nicht an braun gebrannte Menschen am Strand nach zu vielen Wochen am Ballermann auf Mallorca. Und nicht die Zähne ansehen, die aus der Schnauze ragen.
    Der verrottete Hai war eine Herausforderung. Aber einem Schafskopf ins Auge zu blicken, das man nebenbei mitisst, ist für mich eine echte Mutprobe. »Stell dir einfach vor, du wärst ein Chirurg«, sagt Gisli mit ruhiger Stimme. »Die essen bloß nicht, was sie zerschneiden«, entgegne ich. Während Gisli schon den halben Schafskopf verputzt hat, kämpfe ich noch immer mit dem ersten Schnitt. »Nicht hingucken, einfach schneiden und essen«, sagt Gisli ermutigend. Ich schneide ein Stück aus der Wange. Angeblich der leckerste Part. Denn das Fleisch ist fest, weil Schafe ausdauernde Graskäuer sind. Ich frage mich, ob mein Freund mich je wieder küssen wird? Doch für solche Gedanken
bleibt keine Zeit mehr. Es gilt Augen zu, Gabel in den Mund, fertig, los. Und dann stelle ich fest, der Geschmack ist in Ordnung. Es ist gutes Fleisch.
    Gerade will ich stolz sein, da sagt Gisli, ich solle nun den Unterkiefer entfernen. Mit diesem Knochen hätten die Kinder in den Torfhäusern früher gespielt – als man arm war und es sonst kein Spielzeug gab. »Guck, wenn du ihn so herum hältst, sieht er aus wie ein Pferd«, sagt Gisli und lässt seinen Schafsknochen auf einer Serviette umher springen. Als ich den Knochen von meinem Schafskopf entferne, schnellt die Zunge hervor. »Die ist das Beste«, sagt Gisli. Und zugegeben, sie schmeckt.
    »Einfach zubeißen«, sagt Dagur jetzt voller Freude. »Und Gisli tief in die Augen schauen.« Schon wieder hagelt es eine Portion isländischen Humor. Es geht ums Auge. Gisli hat es schon gegessen. Ich bin dran. Allein den Augapfel aus der Augenhöhle herauszuoperieren, ist grotesk. Mehrmals muss ich ansetzen, weil ich zu zaghaft bin. Wenn es wenigstens auf den Boden fiele. Dann wäre ich erlöst. Ich weiß wirklich nicht, ob ich das tun soll. Als der Redakteur mir im Spaß eine E-Mail schrieb, in der stand: »Du kommst nicht wieder, bevor du nicht ein Schafsauge gegessen hast«, dachte ich: Dann denk ich mir die Sache halt aus. In isländischen Geschichten verschwimmen sie doch ohnehin gern, die Wirklichkeit und die Fantasie.
    Aber jetzt liegt das Auge auf meinem Teller. Und sieht aus wie im Biobuch. Ein ovales Ding, hinten spitz zu einem Strang zulaufend. Dagur sagt: »Das Auge zu essen, ist gut für die eigenen.« Da erinnere ich mich an den Spruch eines anderen Kollegen. Das deutsche Wort für isländischen Lebensstil sei »Extremismus«, hatte der im Spaß gern gesagt. »Wir gehen immer den ganzen Weg, die ganze Zeit, weißt du!« Wahrscheinlich meinte er etwas anderes. Aber was macht das schon. Nach einiger Überwindung
schneide ich ein Stück ab. Ich kann nicht auf halbem Weg schlappmachen, denke ich. Außerdem: Vielleicht werde ich ja meine Kontaktlinsen los.
    Weich ist es. Auch ein bisschen knurpseliger als der Rest. Eklig ist nur der Gedanke daran, nicht der Geschmack. Ich glaube, Gisli ist jetzt stolz auf mich. Nur Dagur sagt, ich würde schummeln, weil ich plötzlich satt bin.
    Ich hab es nur geträumt, denke ich abends in meinem Apartment, während der isländische Regen gegen meine Fensterscheibe prasselt. Vielleicht war es auch einfach nicht schlimm. Ist ja kein schlechtes Essen. Heutzutage kaufen wir nur meist fertige Fleischstücke, die uns selten so deutlich daran erinnern,

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