Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen
Elfen sehe?, fragte ich. »Nein«, antwortete sie. Aber eine Bekannte von ihr. »Und warum sollte die mich anlügen?«
Und noch ein Islandbild habe ich oft im Kopf. Es ist das von zwei 17-jährigen Jungs mit Rockerfrisuren, die ich in einer dieser endlos hellen Mittsommernächte voller Hingabe an einer Laterne in Reykjavík hängen sah und aus vollen Kehlen »I want to wake up in a city that doesn’t sleep« singen hörte. Frank Sinatra und New York waren in diesem Moment nichts gegen die beiden, berauscht von ihrer Jugend und der Nacht. Und als ich am nächsten Tag zur künstlich beheizten Bucht in Reykjavík ging,
saß dort ein Mann im heißen Pott, der »It’s now or never« sang – im Nieselregen.
Ich habe oft über das Phänomen Island nachgedacht. Wenn Länder Freunde sind, dachte ich, dann ist Island der Rebell, mit dem man erst Pferde stiehlt und dann irgendwo auf einer Wiese liegt und über Geheimnisse, Träume, die Sterne und das Universum spricht. Ich kannte kein anderes Land, das den Spagat zwischen Ursprünglichkeit und Fortschritt, Intuition und Bildung, Individualismus und Zusammenhalt, Verwegenheit und Charme so gut hinbekommen hatte wie diese Insel im Nordatlantik. Es war ein Ort, an dem ich mir vorstellen konnte, zu leben. Weil er zugleich so modern und auf hinreißende Art so unberührt war. Aber was war jetzt? War Island noch das Paradies, das ich kannte?
Irgendwann fällt der Whisky meines Sitznachbarn um. Er hatte ihn auf den freien Sitz zwischen uns gestellt. Keiner von uns sagt etwas. Erst nach einer Viertelstunde sagt er ruhig und ohne Vorwurf: »Ich muss mal einen neuen Whisky bestellen, jetzt, wo du meinen umgeworfen hast.« Ich sage: »Ich glaub, das warst du selbst.« Darauf er: »Wirklich? Na, ist doch egal. Ist doch bloß Whisky!«
Wir kommen ins Gespräch: »Fährst du zum ersten Mal nach Island?«, fragt er. Ich sage: »Nein, ich war schon oft dort.« Er komme aus den Westfjorden, erzählt er, aus einem kleinen Ort, in dem nur 100 Leute leben. Und mir fällt auf, dass er so redet, wie viele Isländer, besonders aus kleinen Orten: In kurzen Sätzen und mit einer wunderbaren Klarheit. Gerade war er in Norwegen. Er hat dort geholfen, eine Fischfabrik aufzumachen, und anschließend eine Woche Urlaub in Deutschland gemacht. Dabei sei er mit dem Auto durchs Land gefahren. Er schüttelt den Kopf. »In Deutschland ist man nie allein«, sagt er. »Selbst wenn
da ein Wald ist, sind da immer noch Häuser.« In Island sei das anders. Man könne rausgehen und tagelang niemanden treffen.
Wir sind kurz vor der Landung als der Pilot uns darauf aufmerksam macht, dass man am nächtlichen Himmel die Nordlichter sieht. Ich stehe auf, um es mir anzusehen. »Hast du noch nie Nordlichter gesehen?«, fragt mein Sitznachbar erstaunt, fast entsetzt. Ich sage: »Schon, aber nur selten, bei uns sieht man sie nicht.« In seinem kleinen Ort kann er sie immer sehen. Man sieht sie besser, wenn keine Stadtlichter sie stören, sagt er. Und dass er selbst schon in größeren Städten gelebt hat. Aber das habe ihm nicht gefallen. »Ich mag es, wenn Orte klein sind und jeder jeden kennt«, sagt er. »Und niemand einander umbringt.« Ich denke, vielleicht ist ja doch noch alles beim Alten.
»Was soll ich über Island schreiben?«, möchte ich von ihm wissen. Er sagt: »Zuallererst, dass die Politiker Idioten sind.« Er überlegt. »Es war nur eine kleine Zahl von Leuten, die uns in die Krise geritten haben. Der Rest ist in Ordnung. Island ist ein schönes Land.«
Die ersten seismologischen Schwingungen der Krise hatte ich schon 2006 vernommen. Eines Abends in einer Bar an einem dieser flatterhaften Abende vernahm ich plötzlich eine leise, verzagte Stimme. Sie kam von einem Typen in Lederjacke, der geknickt am Tresen saß. »Früher haben die Mädchen sich noch für deine Musik interessiert«, sagte er. »Heute wollen sie wissen, ob man einen Privatjet hat.«
Rums. Irgendetwas war anders. In dem einst klassenlosen Land war eine Schicht der Superreichen eingezogen, die es vorher nicht gab. Eine Form des Kapitalismus, der hier vorher keine Rolle gespielt hatte. Am Stadtflughafen von Reykjavík standen tatsächlich mehrere Privatjets. Im Jahr 2008, als ich kurz vor dem Bankencrash wieder dort war, hörte ich einen Freund von
der litauischen Mafia sprechen, die angeblich Drogen nach Island schmuggelte. Mir wurde mulmig.
Dann kam der Kollaps. Mitte September 2008 ging die amerikanische Investmentbank Lehman
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