Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen
Kunstmuseums Hafnarhús einmal in einer Theorie. Es ist noch gar nicht lange her, dass Reykjavík von Leuten aufgebaut wurde, die
auf Farmen oder in Fischerorten aufwuchsen. Es war eine kleine, isolierte Gesellschaft mit der Unsicherheit von Insulanern und der Sorge, nicht mithalten zu können mit der Welt. Aber sie machten etwas Schlaues. Da man an ihren Universitäten nicht alles studieren konnte, vergaben sie Bildungskredite für das Ausland. Diese Generation formt längst die Stadt. Die Studenten gehen überall hin und bringen all das, was sie anderswo gesehen haben, zurück nach Island und vermischen es mit dem, was es vor Ort gibt. So war das übrigens schon bei den Wikingern. Wer auszog aus dem Land und wiederkam, brachte Geschichten und Ideen mit und passte sie auf Island an.
Jóhannes vom Plattenladen fährt übrigens jedes Jahr nach Dresden. Er recherchiert in alten Archiven in Sachen Barockmusik. Musikalisch sei er den ganzen Weg gegangen, sagt er, von Punk bis zum Barock. Und das sei die absolute Spitze. Dass in der Vitrine ihres Plattenladens, neben allerlei anderen lustigen Dingen, eine signierte LP von Lionel Richie liegt, auf der steht: »12 Tónar ist der beste Plattenlanden in Island« muss übrigens keinen verwundern. Es ist ein Scherz. Von einem Freund, den sie »den isländischen Lionel Richie« nennen. »Wenn man positiv bleibt«, sagt Jóhannes in einem schönen Moment unseres Gesprächs, »kann einen das bis ganz nach oben tragen.« Und als wir rausgehen in den Nieselregen, um etwas essen zu gehen, setzt er einen grünen Sonnenhut auf.
Auge in Auge mit dem Schafskopf
Ich beschließe, dass ich Gisli nicht länger hinhalten kann. Auch den deutschen Redakteur nicht, für den ich die Geschichte über die Islandküche schreiben soll. In seinen Mails löchert er mich schon, wann er den Artikel endlich bekommt. Außerdem ist meine Stipendienzeit in Island fast abgelaufen.
»Einmal muss ich es ja tun«, sage ich mir und verabrede mich für den Abend mit Gisli im Schnellrestaurant am zentralen Busbahnhof BSI in Reykjavík. »Fjótt og gott« heißt es. Schnell und gut. »Dort gibt es gute Schafsköpfe«, sagt Gisli.
Auf Isländisch heißen Schafsköpfe »svið«, das kommt von dem Verb »svíða« (brennen oder sengen). Und das stammt wiederum davon, dass man den Schafsköpfen im Schlachthof die Haare absengt mit etwas, das wie ein großer Bunsenbrenner aussieht. Ich hatte es mit eigenen Augen gesehen. Schließlich bin ich eine ordentliche Journalistin und recherchiere meine Artikel gründlich. Jetzt im Schnellrestaurant, wünschte ich, ich hätte das nicht getan. Denn ich habe die Szenen vor Augen. Von Schafsköpfen an Metallgestellen. Und einem Mann mit einer Maske,
der sie in eine Reihe legt und nacheinander mit dem Brenner bearbeitet. Funken sprühen. Es sieht ein bisschen so aus wie beim Schweißen.
Nach dem Absengen kommen sie in mit Eis aufgefüllte Wannen, um sie abzukühlen. Da bleiben sie über Nacht. Und sehen aus wie Wasserleichen in einem Gruselfilm. Anschließend werden sie gesäubert, in Hälften gespalten, in Plastikbeutel verpackt und eingefroren. So landen sie dann in den Tiefkühlregalen der Supermärkte, die frostigen Fratzen. Man bekommt sie eigentlich überall. Genau wie Fischlebertran, Skyr und Trockenfisch.
»Setz dich«, sagt Gisli und ich sehe zu, wie er zum Tresen des Schnellrestaurants schlendert und die Bestellung aufgibt. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Nervös lasse ich die Augen kreisen. In der Mitte des Schnellrestaurants führen Deko-Wegweiser zu Orten, die außer den Isländern sowieso niemand aussprechen kann, und die Fenster sind mit Fotos von Touristenattraktionen beklebt, damit man nicht auf die parkenden Busse gucken muss. Das Restaurant hat jeden Tag von frühmorgens bis spätabends geöffnet. Bis vor einigen Jahren gab es hier nur traditionelle Gerichte, erzählt Gisli. Dann hat der Inhaber umdisponiert. Heute gibt es hier auch eine Salatbar, Burger, Pommes, aber auch noch täglich – und darauf legt man Wert – frisch gekochte Schafsköpfe. Es gibt sie sogar draußen am Drive-in-Schalter. Gislis Sohn fährt nachts mit seinen Freunden manchmal hier vorbei – denn das ist »in«.
An einem Tisch liest ein Mann seine Zeitung. Auf dem Teller vor ihm liegt die nackte Hälfte eines Schafsschädels. Viel zu schnell kommt Gisli zurück. In der Hand hält er den ersten Teller, im Gesicht ein Grinsen: »Weißt du, so ein halber Schafskopf ist bloß ein
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