Wo Elfen noch helfen - Walter, A: Wo Elfen noch helfen
führen. Die Straßen sind frisch geteert, die Straßenlaternen nagelneu, selbst die Wasseranschlüsse waren schon fertig. Nur zu den Bauten kam es nicht mehr. Weil stattdessen die Krise ausbrach. »Was hat man sich dabei gedacht?«, frage ich mich. »Wer sollte hier alles wohnen?«
»Es gab oft kein gemeinsames Planen«, sagt Gisli. Alle wollten den ganzen Kuchen. Alle Gemeinden, alle Stadtteile. Und die Leute wollten ein zweites, ein schöneres, größeres Haus. Es sind bedrückende Szenerien, die vom Ende eines Booms, einer geplatzten Blase erzählen. Aber Gisli ist lange nicht so betroffen wie ich. Er kennt es ja auch schon. Er schaut auf die leeren Siedlungen und sagt: »Das ist hier wie in Tschernobyl, weißt du!«
Dann erzählt er von der Garde der Superreichen. Etwa wie einer der früheren Bankbesitzer sein Imperium auf Pump aufbaute. Gisli erzählt von Yachten, von Partys in Monaco, von gekauften Fußballclubs (als wäre man Roman Abramovich!) oder von Elton John, den man für Privatkonzerte buchte. Alteingesessene, wohlhabende Familien im Ausland rümpften angeblich schon die Nasen ob dieses Verhaltens der neuen isländischen Elite. Es gibt das alte isländische Sprichwort »Geld macht einen Affen aus dem Menschen«.
Ganz normale Bankkunden wurden überzeugt, Kredite in Fremdwährungen aufzunehmen. In Euro, Schweizer Franken oder Yen. Die Bankangestellten riefen die Leute sogar zu Hause an und schlugen ihnen vor, Kredite aufzunehmen, um ein neues Haus zu bauen. Denn die Krone war stark zu jener Zeit und die Kredite günstig wie nie. Und das in einem Land, wo man noch Anfang der 1990er ein Flugticket vorweisen musste, um in der Bank überhaupt Fremdwährung zu bekommen.
Gisli redet ernst und klar und bleibt doch ruhig dabei. »Es sind doch nur Zahlen auf Papier«, sagt er auf dem Rückweg, als wolle er ausgerechnet mich beruhigen. Und da merke ich wieder, dass ich in Island bin. Wo man sich von Schicksalsschlägen trotzdem nicht kleinkriegen lässt. Niemals aufgibt. Sondern weitermacht. Er sei zuversichtlich, dass die Häuser irgendwann fertig gebaut werden, sagt Gisli. Außerdem sei nicht alles schlecht. Alle reden über Atomkraft und den schrecklichen Vorfall in Japan. Island habe keine Kernkraftwerke. Viele Ausländer wollen herziehen, weil das Leben hier gut ist.
Allerdings befänden sich die Papageitaucher auf den Westmänner-Inseln gerade in der Krise. Denn im Meer mangelt es an dem Fisch, den jungen Sandaalen, mit dem sie ihren Nachwuchs füttern. Die Papageitauchernächte fallen in den letzten Jahren immer spärlicher aus, weil die Papageitaucher zwar noch auf die Insel kommen, aber viel weniger Eier legen. Man hofft, dass es mit der Zeit wieder besser wird.
Endlich wieder normal
Am Nachmittag gehe ich durch die Straßen von Reykjavík. Überall sehe ich Leute mit Islandpullis. Zuerst stutze ich. Vor ein paar Jahren haben nur Touristen sie getragen. Jetzt bleibe ich stehen, lausche und stelle fest, dass die Träger Isländisch sprechen. Fast meine ich, sie trotzen der Welt mit ihren Pullovern, ihrer Wolle, die sie immer warm gehalten hat. Man strickt jetzt wieder, erzählt man mir. Außerdem gibt es neue, gemütliche Cafés, in denen die Kellnerinnen romantische Schürzen tragen und vielerorts typisch isländisches Essen. Ich entdecke ein schickes Bistro, in dem es Schafsköpfe gibt, und sehe, dass eine Bar, die einst dafür berühmt war, die meisten Biersorten in Island zu führen, jetzt »Íslenski Barinn« (isländische Bar) heißt. Dort hängen Schwarz-Weiß-Fotos aus alten Tagen an der Wand. Auf der Speisekarte steht hákarl, Trockenfisch, rot-weiß-blaues Popcorn, Walfleisch mit Dill und Wasabi-Mayonnaise, isländische Lammsuppe und geräucherter Papageitaucher. Es scheint, als sehne man sich zurück nach mehr Heimeligkeit – und den Wurzeln des Landes.
In einem Laden gibt es Taschen aus Fischhaut, die in den schönsten Farben schillern, überall wird isländisches Handwerk
angeboten. »Island ist also zu seinen Ressourcen zurückgekehrt? «, frage ich eine Verkäuferin. »Ja, endlich«, sagt sie. »Es war alles zu viel. Es war verrückt. Es war einfach zu viel.« Schon 2006 seien viele skeptisch geworden, aber die Maschine lief. Heute sagt man »das riecht nach 2007«, wenn einem etwas übertrieben vorkommt. 2007 war das Boomjahr vor dem Fall.
»Wir haben jetzt aufgehört, zu versuchen, immer die besten zu sein«, sagt die Verkäuferin und klingt irgendwie erleichtert dabei. »Wir
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