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Wo fehlt's Doktor?

Wo fehlt's Doktor?

Titel: Wo fehlt's Doktor? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Gordon
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großen gelben Schwamm ein. »Er ist dir unsympathisch, nicht wahr?«
    »Offen gesagt, für mich ist er wie eine Pestbeule. Er tut all die Dinge, die ich im Spital besonders geschmacklos finde.« Der Dean stieg auf seine spitalsmäßig aussehende Badezimmerwaage. »Er boxt sich in allen meinen Kursen nach vorn. Er stellt intelligente Fragen, auf die er bereits die Antwort weiß. Und er korrigiert meine Diagnosen. Daß er manchmal recht hat und ich unrecht, tut nichts zur Sache. Die Studenten sind heutzutage alle viel zu anmaßend. Es fehlt ihnen die grundlegende hippokratische Weisheit, nämlich die Tatsache zu verbergen, daß sie ihre Lehrer für ein Pack bibbernder alter Idioten halten.« Er begann, mit den Gewichten auf dem Arm der Waage zu hantieren. »Außerdem hat dieser Sharpewhistle wegen dieser lächerlichen Fernsehquizsendung eine stark übertriebene Meinung von sich. Konversation machen kann er überhaupt nicht. Und er riecht wie der Wärter in einer Sauna. Aber es gibt noch einen Grund, warum Muriel ihn nicht heiraten wird. Sie kann ihn nämlich auch nicht leiden.«
    Josephine lag schweigend im parfümierten Wasser.
    Der Dean betrachtete die Waage. »Ich kann doch nicht über siebzig Kilo wiegen?« murmelte er. »Gibst du mir nicht recht, Josephine? Allein die beiden gestern abend zu sehen hat mir genügt. Ein junges Mädchen, das seine Verlobung bekanntgibt, sieht - sollte man annehmen - strahlend aus, auch in unserer unromantischen, unzüchtigen Zeit. Muriel aber machte ein Gesicht wie damals, als sie mit den Weisheitszähnen zu tun hatte.«
    »Ich bin leider deiner Meinung«, sagte seine Frau ruhig, »sosehr ich auch versucht habe, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Aber... er ist eben der Vater ihres werdenden Kindes.«
    »Sie muß völlig den Kopf verloren haben, als sie sich mit einer so unsympathischen, müffelnden Kreatur wie ihm... Allerdings«, fügte er verzeihend hinzu, »sie hatte keine Kontrolle über sich. Sie war ja voll mit Lancelots Champagner.«
    »Sie war an jenem Abend nicht die einzige, Liebster.«
    Der Dean zuckte die Schultern und klopfte heftig mit dem Finger auf die Waage. »Ich muß unter siebzig wiegen bei meiner frugalen Diät. Wenn auch ich ein wenig beschwipst war, dann nur, weil man von Lancelot nicht so oft etwas zum Trinken spendiert bekommt. Man muß die Feste feiern, wie sie fallen.«
    Josephine zog mit der Zehe den Badewannenstöpsel heraus. Sie kicherte plötzlich. »Als ich so alt war wie Muriel, Liebster, hast du mich geradezu ins Bett geschleppt, nicht wahr? Ja, ja, die Zeiten ändern sich...«
    »In jenen Tagen hatte ich nicht soviel auf mir. Dean zu sein nimmt einen her, wie du ja weißt.«
    »Sicherlich.«
    Der Dean versuchte, auf einem Fuß auf der Waage zu stehen. »Es ist komisch, daran zu denken, daß ich Sex genauso wie alle anderen Männer praktiziere.«
    Seine Frau begann sich abzufrottieren. »Was wirst du in der Angelegenheit des Vizekanzler-Postens unternehmen?«
    »Ich werde Frankie bitten, die Stelle Lancelot anzutragen, ich glaub’ nicht, daß es ihr etwas ausmacht. Die Hampton-Wick-Leute nehmen jeden in ihrer Verzweiflung.«
    »Aber wird Lancelot den Posten annehmen?«
    Der Dean setzte seinen Elektrorasierer in Gang. »Es ist durchaus möglich. Er mag Frankie sehr. Er ist tatsächlich der einzige im St. Swithin, der sich von ihr um den kleinen Finger wickeln läßt. Daß er selbst ein durch und durch amoralischer Mensch ist - weniger im Tolerieren als de facto im Anstiften -, sollte ihn für die Leitung dieser sexuellen Jauchegrube besonders empfehlen.«
    »Aber wird er die Position annehmen, wenn er hört, daß du sie bereits abgelehnt hast?«
    Der Dean lachte. »Er wird nichts davon hören. Frankie ist nicht von gestern.« Er sah verschmitzt drein. »Und ich auch nicht, Liebes. Oder?«
    »Nun gut, und was machen wir mit Muriel?«
    »O Gott! Gib mir Zeit, bis ich ein wenig Speck mit Eiern gegessen habe.«
    Das Frühstück, das Muriel in diesem Augenblick allein in der Bibliothek von St. Swithin emnahm, bestand aus einer Tafel Schokolade. Vor ihr auf dem Tisch lag ein aufgeschlagenes Exemplar der Diagnostischen Prozeduren in der klinischen Praxis, aus dem sie jedoch noch kein Wort gelesen hatte. Eine Zeitlang saß sie und starrte ins Leere. Ihre Finger spielten mit den Papierresten der Schokoladepackung. Dann fegte sie die Reste abrupt zusammen und warf sie in den Abfallkorb. Sie klappte das Buch zu, steckte es unter den Arm und ging hinaus. Sie

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