Wo geht's hier nach Arabien
vorlegen. Die wählen aus, was im Land bleiben muss, und was der Ausgräber in seine Heimat mitnehmen darf. Fundteilung nannte man das damals. Borchardt legt seine beiden besten Teile nebeneinander. Böse Zungen behaupten, er habe die Nofretete fachmännisch zerlegt, zumindest beschmutzt, auf jeden Fall so präpariert, dass sich die Antikenaufseher für ein steinernes Altarbild entscheidenâ gegen Nofretete. Er spielt den Fund herunter, schreibt in die Heimat, Echnaton und seine Familie » fangen an, mich zu langweilen«. 1913 bringt er sie nach Deutschland.Aber er hält den Fund für so bedeutend, dass er ihn jahrelang nicht ausstellen lässt, um nur ja keinen Ãrger mit den Ãgyptern zu provozieren. Kaiser Wilhelm bekommt eine Kopie, Hitler später auch. Der dicke Göring versteht nichts davon und will sie den Ãgyptern zurückgeben, doch der Diktator pfeift ihn zurück. Am Kriegsende finden amerikanische Soldaten die aus dem bombardierten Berlin gerettete Nofretete in einem Salzbergwerk in Thüringen. Die Kiste hat allerdings eine ganz andere Nummer als die Kiste, in die sie eingepackt wurde. So halten sich bis heute diverse Verschwörungstheorien von Fälschung, Raub et cetera.
Ein letzter Hinweis: Wer heute in Berlin nach Borchardt fragt, landet nicht bei der Nofretete, sondern im gleichnamigen Szenerestaurant zwischen Staatssekretären, Lobbyisten und Berliner Promis.Aber auch hier gilt dasselbe wie im Angesicht der Nofretete: sehen und gesehen werden.
Michael Martin
Wo: Wüste
Wann: seit 1980
Warum: brumm-brumm und knips-knips
D ia-Abend. Es klingt so harmlos. Aber dieses Wort verbreitete einst mehr Angst und Schrecken in Mitteleuropa als » Die Russen kommen« oder » Atomangriff«. Im ausgehenden letzten Jahrhundert gab es auch keine Luftschutzkeller mehr, nackt und schutzlos war man dem Bilderterror ausgesetzt. Man musste kein Nostradamus sein, um die Ereignisse, die den Sommerferien unweigerlich folgen sollten, vorherzusagen. Als nämlich die Urlaubstage für alle vorüber waren, trudelten nach und nach die PostkartengrüÃe von Oma, Onkel, Kegelbrüdern und Nachbarn ein. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Diapositive der Urlauber gerahmt und sortiert waren und die telefonische Einladung zum Dia-Abend daherkam. Irgendwann zwischen Oktoberfest und Weihnachten. Sämtliche Ausreden der Weltgeschichte waren längst verbraten und verheizt.Also sagten wir, wir freuen uns, wir kommen, wir sind schon ganz gespannt. Und wie erfreulich es sei, in welcher Geschwindigkeit dieser Schnarchsack von Fotoladenbesitzer die Filme entwickelt hätte.
Auf den Ablauf eines Dia-Abends im privaten Kreis konnte man sich verlassen. Das Zimmer wurde verdunkelt, das Projektionsgerät auf eine freie Fläche auf der Wand gerichtet. Der dunkle Punkt in der Bildmitte war kein Fehler am Dia, sondern der Nagel, an dem sonst das Bild des röhrenden Hirschen hing.
Es geht los. Die ersten 150 Dias sieht man bei vollem Bewusstsein, dann ist Pause, zum Abkühlen der Projektorglühbirne, ja, so war das in der Elektrosteinzeit, also in den Siebzigern. Es gibt Knabberzeug. Dann die nächste Runde. Durch Materialverschleià oder menschliches Versagen, womöglich ausgelöst durch ungehemmte Alkoholzufuhr, ist Mitte der zweiten Hälfte mit einer Unterbrechung zu rechnen, die einen aus dem Nickerchen reiÃt. Das groÃe Licht geht an. Denn irgendeines dieser Miniaturbilder hat sich im Hebelmechanismus der Maschinerie verhakt und ist nicht mehr loszukriegen. Die Reparaturarbeit des echauffierten Hausherrn zieht sich bis in die frühen Morgenstunden hin, aber man bleibt höflich und wacker im Sessel sitzen, denn » Das Beste kommt noch«. Als menschliches Wrack kehrt man unter morgendlichem Vogelgezwitscher in die eigenen vier Wände zurück. Mit dem Schwur auf den Lippen, noch morgen die Einladung zum eigenen Dia-Abend in die Post zu geben.
Zum Glück ist die Ãra des privaten Diapositivismus vorbei. Es gibt inzwischen Profis, die in riesige Stadthallen einladen und dort in Multi-Duplex-360-Grad-Mediavision-Control-Picture-Systems ihre Urlaubserlebnisse vorführen. Michael Martin ist der King unter den Dia-Königen. Er durchquerte Afrika in allen Himmelsrichtungen. Seine Dias sind immer einzigartig, die Menschen immer ursprünglich und seine Erlebnisse ausnahmslos groÃe Abenteuer. Hat man einen seiner
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