Wo geht's hier nach Arabien
denen die meisten Menschen nichts verstehen und auch nichts verstehen wollen. Sozialpsychologie oder das theoretische Prinzip des Dialogs mit Gott ist nicht das, worüber man schon beim Frühstück intensiv nachdenkt. Aber Martin Buber war nicht nur Philosoph und Theoretiker. Zusammen mit dem Historiker und Philosophen Franz Rosenzweig, der seit 1922 an einer totalen Bewegungs- und Sprachlähmung litt und sich nur noch über die Augen verständigen konnte, übersetzte er Die Bibel neu. Sie stehen damit in einer Reihe der berühmtesten Bibel -Ãbersetzer. Der heilige Hieronymus hat die Bibel aus dem Altgriechischen ins Lateinische übersetzt, und über tausend Jahre später übertrug Martin Luther das riesige Schriftwerk in die deutsche Sprache.
Ab dem Jahr 1925 erscheint Buber-Rosenzweigs » Neuverdeutschung«. Die beiden Ãbersetzer konnten Hebräisch, und so versuchten sie, den Ausdruck und die Besonderheit der 2000 Jahre alten Sprache ins Deutsche zu übertragen. Es gibt zwar viele Menschen, die mit einem Wortschatz von höchstens 100 Begriffen durch das Leben kommen und deren tägliche Lektüre über den Lebenslauf des Mädchens von Seite eins nicht hinauskommt: » Anschi, Steuerfachgehilfin, ich mag es auch mal hart.« Aber für alle anderen, die sich an schöner Sprache erfreuen können, gehört die Bubersche Bibel -Ãbersetzung zur Pflichtlektüre. Darin klingen die berühmten Anfangszeilen der Heiligen Schrift schon etwas anders als gewohnt, archaischer, fremder, aber auch stimmungsvoller:
» Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.
Der Erde aber ward Irrsal und Wirrsal.
Finsternis über Urwirbels Antlitz.
Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser.«
Martin Buber ist einer der wenigen, die in der neuen Heimat ihren ursprünglichen Beruf ausüben können. Der jüdische Schuhmacher aus Heilbronn wird in Zukunft Ziegen züchten müssen. Der Anwalt aus Regensburg, der erst mühsam Hebräisch lernen muss, wird im besten Fall Bürgermeister einer neuen Siedlung. Die Ãrztin leitet die neue Schule, und der ehemalige Opernsänger betreibt einen Imbissstand am Hafen. Sie haben alles zurückgelassen. Die Heimat, die Freunde, Familienangehörige. Viele von denen wollten nur noch ein paar Kleinigkeiten regeln und bald nachkommen. Dazu kam es nicht, die Gestapo kam dem zuvor. Der ganz normale deutsche Alltag, an dem man seit Generationen beteiligt war, der Besuch im Schauspielhaus, der wöchentliche Familienausflug an den See, die jährlichen Feste in der Schuleâ für immer vorbei. In den neuen Siedlungen in Palästina gilt es schon als Sensation, wenn die HauptstraÃe mit Asphalt überzogen wird. Im Sommer stinkt es nach Schaf, Ziege und fauligem Obst.
Wer keine Verwandten in Palästina hat, kommt unvorbereitet an. Feine Damen steigen aus den Schiffen, mit Hut und Stöckelschuhen, Herren mit Gehstock staksen plötzlich im knöcheltiefen Sand. Kinder tragen kurze Lederhosen, darüber den Wintermantel, man wusste ja nicht genau, wird es heià oder kalt.
In der Religion war man sich nur oberflächlich einig. Jüdisch, ja. Aber wie jüdisch genau? Manche Familien waren wenig religiös, andere bewegten sich wegen des Sabbats gar nicht vom Schiff und warteten, bis es ihnen wieder erlaubt war, am normalen Treiben teilzuhaben. Von Martin Buber ist ein Zitat überliefert: » Alle Reisen haben eine heimliche Bestimmung, die der Reisende nicht ahnt.«
Für den Auswanderer gab es lange Zeit nur ein Ziel: USA. Aber in den zwanziger Jahren begrenzten die Amerikaner die Zuwanderung. Nur noch ein Bruchteil der europäischen Exilanten wurde eingelassen. Zudem wurde Palästina, das seit dem Ersten Weltkrieg britisches Mandatsgebiet war, immer attraktiver. Seit Ende des 19. Jahrhunderts gab es mehrere Einwanderungswellen, zumeist ausgelöst durch Pogrome in der Heimat. Nach und nach entstanden immer mehr jüdische Siedlungen. Tel Aviv beispielsweise wurde 1909 gegründet.
Im Jahr von Bubers » Einwanderung«, so nannte er selbst seine Flucht, verlieÃen ungefähr 40 000 deutsche Juden den Nazistaat und versuchten ihr Glück in Palästina.
Dort herrschten kriegsähnliche Zustände. Der arabische Aufstand, dem schon einige vorangegangen waren, dauerte von 1936 bis 1939. Militante Araber hatten bei Nablus einen Autokonvoi überfallen und zwei Juden
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