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Wo geht's hier nach Arabien

Titel: Wo geht's hier nach Arabien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Springer
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aus. Die Mama findet es toll, der Papa würde ihr lieber einen Bildband über das Land schenken, da der sich in seinen schlimmsten Albträumen schon mit dem fies grinsenden arabischen Schwiegersohn über das Rasenmähen streiten sieht. Susi und ihre Freundin verbringen ganze Nächte im Internet, um die billigste Flugverbindung herauszufinden. Bei 185 Euro schlagen sie zu. Der Flug geht leider nicht direkt und dauert etwas länger, da man bei den Zwischenlandungen in Lissabon und Taschkent etwas Aufenthalt hat und in Tiflis erst ab 6 Uhr früh wieder Starts erlaubt sind.
    Nach 98 Stunden Billiganreise stehen die beiden erschöpft, aber glücklich in Sanaa, der Hauptstadt des Jemen. Und sie kennen sich sofort aus, denn sie haben den Lonely Planet dabei.
    Lonely Planet ist das Synonym für: Wir reisen auf eigene Faust und sind näher am Einheimischen dran als ihr blöden Pauschaltouristen. Der gleichnamige Verlag sitzt in Australien und gibt seit 1973 die berühmten Reiseführer mit den praktischen Tipps heraus, Auflage über 50 Millionen. Das Zielpublikum war von Anfang an klar: junge Menschen mit kleinem Reisebudget, die gerade noch so viel Kohle übrig haben, sich die Lonely Planet -Bibel zu kaufen. Inzwischen gehört der Verlag dem BBC-Konzern, die Gründer sind Millionäre, es gibt einen gleichnamigen TV-Sender, Bildbände und etliche Merchandising-Produkte für die spießige Seele des Alternativtouristen. Ein Tiefschlag gegen das Saubermannimage des Lonely Planet -Verlags war es, als herauskam, dass der Kolumbien-Reiseführer von einem Autor verfasst worden war, der noch nie einen Fuß in das südamerikanische Land gesetzt hatte.
    Der Jemen ist arm und damit ein ideales Reiseziel für die jungen Menschen mit dem » Internationalen Studentenausweis«. » Stell dir vor, ein Mittagessen für 80 Cent!« Susi und ihre Freundin werden unter Mückenstichen und Durchfall leiden, aber großartige Begegnungen haben. Meistens mit anderen Rucksacktouristen. Backpacker wohnen alle im selben Hotel, gehen alle in dieselben Restaurants, fotografieren dieselben Dinge und erzählen in der Heimat begeisterter von den Diskussionen mit dem britischen Philosophiestudenten als von dem jemenitischen Facharbeiter aus der Papierfabrik. Den trifft man nämlich nicht. Backpacker sind zwar für alles offen, aber sie bewegen sich in einem kleinen Kreis von Einheimischen. Da ist der Mann, der seit 18 Jahren an der Moschee Silberschmuck verscherbelt, dann der Junge, der vorgibt Englisch zu studieren, aber im Hotel nur den Müll entsorgt, und dann noch die alte Frau mit den hennaverzierten Händen am Bab al-Jaman, die Weihrauch verkauft (da nimmt Susi auch welchen mit, denn so steht’s im Lonely Planet ). An Lehrer, Bankdirektoren, Fußballspieler, Ärztinnen, Juristen und Plantagenarbeiterinnen, also an das breite Spektrum einer Gesellschaft, kommt der Individualreisende nicht ran. Das will er auch gar nicht, denn zum Individualreisen gehört nicht die Normalität, sondern die Exotik. Dort zu sein, wo zuvor noch nie jemand war. Susi & Co. latschen also von Geheimtipp zu Geheimtipp, die alle längst keine Geheimtipps mehr sind, seit sie im ersten Lonely Planet standen und täglich um 14 Uhr sogar der Neckermann-Bus seine Leute dort ausspuckt. Beispielsweise links vor dem Bab al-Jaman, wo der versteckte Eingang zur alten Ölmühle liegt. Im schummrigen Keller des Hauses zieht seit Abrahams Zeiten ein Kamel mit verbundenen Augen seine endlosen Kreise um den altertümlichen Steinbottich. Biblisch! Aber bereits von so vielen Individualisten besucht und fotografiert, dass sich der Kamelbesitzer vom Bakschisch längst ein schickes Auto gekauft hat.
    Susi bestaunt die berühmten jemenitischen Hochhäuser aus gestampftem Lehm und all die anderen Sehenswürdigkeiten und erkundigt sich, ob und wie man aufs Land und in die Berge fahren kann. Doch das wird immer schwieriger. Ja, das mit den Entführungen bereitet dem Jemen große Sorgen. Anfangs war es ein eher harmloses Spiel, als vermummte Straßenräuber die Touristenjeeps stoppten und von den westlichen Botschaften Lösegeld für ihre Geiseln forderten. Es wurde gezahlt, und die Leute kamen frei. Inzwischen kommen aber immer mehr Menschen bei Entführungen und den folgenden kläglichen Befreiungsversuchen ums Leben. Ganze Stammesgebiete sind nun abgeriegelt, unzählige

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