Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
Population möglich sind. Neuere Studien zeigen, dass die Mutationsrate in menschlichen Keimzellen in etwa eins zu dreißig Millionen beträgt. Das bedeutet, dass in der DNA, die Eltern an ihre Kinder weitergeben, ungefähr 150 Fehler sind. Unsere Zellen unternehmen also beträchtliche Anstrengungen, ihren genetischen Code fehlerfrei weiterzugeben, aber die Evolution lässt auch Raum für Störeinflüsse.
Ist diese Fehlerrate nun das Ergebnis des Selektionsdrucks, oder spiegelt sie nur wider, dass die Evolution nicht perfekt ist? Für ein Säugetier kann der Mensch relativ gut sehen, aber keiner von uns kann aus hundert Metern Entfernung eine Zeitung lesen. Diese Beschränkung der Sehkraft muss nicht unbedingt eine notwendige Adaption gewesen sein. Wahrscheinlicher ist, dass es sehr schwierig ist, so scharfe Augen zu entwickeln. Und bei allem, was die Evolution zu leisten vermag, allmächtig ist sie nicht. Wahrscheinlich hätte es durchaus einen Evolutionsvorteil mit sich gebracht, wenn wir 100 km/h schnell laufen könnten, aber wegender Einschränkungen, denen unser Bewegungsapparat unterliegt, müssen wir die Krone für den schnellsten Sprinter nun mal den Geparden überlassen. Weshalb sollte es sich mit unserem nicht ganz perfekten DNA-Reparaturmechanismus nicht genauso verhalten?
Es ist gut möglich, dass die natürliche Selektion sich dem Ideal der fehlerfreien Reproduktion nur asymptotisch annähern kann. Für unsere Zwecke ist es jedoch egal, ob die Evolution unsere DNA-Reparaturmechanismen quasi absichtlich mit einer gewissen Fehlertoleranz ausgestattet hat oder ob das Ziel fehlerfreier Fortpflanzung schlichtweg nicht erreicht wurde. So oder so mussten Fehler weiterhin möglich sein, denn ohne sie wäre die Evolution zum Stillstand gekommen. Dennoch sprechen einige interessante neue Forschungsergebnisse durchaus für die Absichts-Hypothese: Bei Bakterien ist die Mutationsrate weit höher als bei komplexeren Organismen, was darauf hindeutet, dass die Fehlertoleranz in direktem Zusammenhang zu den Lebensumständen einer Spezies steht. Eine von Susan Rosenberg am Baylor College durchgeführte Studie zeigte, dass sich die Mutationsrate bei Bakterien drastisch erhöht, wenn sie wenig Nahrung zur Verfügung haben. Sind die Bedingungen gut, so Rosenberg, gibt es weniger Bedarf für Mutation, weil die Bakterien ohnehin gut zurechtkommen. Werden die Bedingungen jedoch schlechter, steigt auch der Innovationsdruck. Neue Strategien sind gefragt, um in einer nährstoffarmen Umgebung zu überleben, was einen entscheidenden Einfluss auf die Balance zwischen Risiko und möglicher Belohnung durch Mutation hat. Das Risiko, dass die Nachkommen an einer tödlichen Mutation sterben könnten, scheint nicht mehr ganz so bedrohlich, wenn ihnen ohne Mutation der Hungertod droht. Hilft die Mutation den Bakterien jedoch, die knappen Ressourcen besser zu nutzen, wird sich das neue Gen schnell über die ganze Population ausbreiten, und nur die Bakterien werden sterben, die es nicht haben.
In gewisser Weise verfolgen die Bakterien in Rosenbergs Studie eine ähnliche Strategie wie die Wasserflöhe, die sich mal geschlechtlich, mal ungeschlechtlich vermehren. Wenn es hart auf hart kommt, bedient sich das Leben innovativerer Fortpflanzungsstrategien, indem es mehr Störfaktoren zulässt.
Sex und Irrtum haben eine lange gemeinsame Geschichte, wie jeder von uns bestätigen kann, wenn er an sein frühes Beziehungsleben zurückdenkt. Der entscheidende Vorteil sexueller Fortpflanzung ist die Möglichkeit, vorteilhaft mutierte Gene von ihren Trägern loszulösen und so die Mutation der gesamten Spezies zugänglich zu machen. Stellen wir uns ein Bakterium vor, das über ein Gen verfügt, das die zelleigenen DNA-Reparaturmechanismen leicht einschränkt und somit für eine höhere Mutationsrate sorgt. Die meisten dieser Mutationen werden entweder wirkungslos bleiben oder tödlich enden. Doch stellen wir uns weiter vor, einer der Nachkommen ist aufgrund seiner Mutation in der Lage, Nahrungsquellen schneller aufzuspüren. Das glückliche Bakterium überlebt nicht nur, es kann sich auch umso erfolgreicher fortpflanzen. Um das Erfolgsgen an die nächste Generation weiterzugeben, braucht es sich nur zu teilen. Der einzige Nachteil bei der Sache: Mit dem Erfolgsgen vererbt es auch das Gen, das für die höhere Mutationsrate sorgt. Und weil schädliche Mutationen weit häufiger sind als positive, wird der Vorteil, den das Erfolgsgen mit sich bringt, auf
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