Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
einfällt. Vierzig davon werden spontan antworten: »Gras.« Weiteren vierzig fällt eine andere Farbe ein, zum Beispiel Rot oder Gelb oder auch das Wort »Farbe« selbst. Nur 20 Prozent werden mit etwas Kreativerem aufwarten wie »Irland«, »Geldschein« oder »Blätter«. Bei dem Wort »Blau« sieht es nicht anders aus: 80 Prozent assoziieren entweder eine weitere Farbe oder das Wort »Himmel«. Nur 20 Prozent kommen auf ausgefallenere und weniger vorhersehbare Antworten wie: »Jeans«, »See« oder »betrunken.«
Mittlerweile gibt es unzählige Tabellen, in denen Hunderte von Begriffen mit ihren frei assoziierten Pendants aufgelistet sind. Diese »Assoziationsnorm« gibt Psychologen einen verlässlichen Maßstab an die Hand, mit dem sie kreatives Denken in verschiedenen Umgebungen messen können. In den meisten Umgebungen und Situationen sind die Assoziationen der Testpersonen so berechenbar, dass sie Antworten à la »Gras« oder »Himmel« ausspucken, als wären sie Roboter. Unter bestimmten Umständen allerdings dringen sie in die fruchtbareren Regionen von »Irland« und »Blättern« vor. Außergewöhnlich kreative Menschen haben meist auch originellere Assoziationen.
Nemeths Experiment produzierte exakt die zu erwartenden Ergebnisse. Zu einem blauen Dia waren »Himmel«, »Grün« und »Farbe« die am häufigsten assoziierten Begriffe, während die originelleren auf 20 Prozent beschränkt blieben.
Dann variierte Nemeth ihr Experiment mit einem kleinen Trick: Sie schmuggelte Schauspieler in ihre Testgruppen. Den Gruppen wurden dieselben Bilder gezeigt, aber die Schauspieler hatten die Anweisung, die Dias bewusst falsch zu beschreiben, als sähen sie eine andere Farbe. Die »echten« Testpersonen beschrieben blaue Dias weiterhin als blau, um dann überrascht festzustellen, dass andere in der Gruppe dieselbe Farbe anscheinend als Grün wahrnahmen.
Als Nemeth nun diese Personengruppe (d. h. die eigentlichen Testkandidaten ohne Schauspieler) bat, frei über die Farben zu assoziieren, die sie gesehen hatten, unterschieden sich die Antworten erheblich von denen der ersten Gruppe. Es waren zwar immer noch Standardantworten wie »Himmel« dabei, aber kreativere Assoziationen wie »Jeans« oder »Schimmel« traten wesentlich häufiger auf. Mit anderen Worten: Wurden die Testpersonen mit falschen Beschreibungen konfrontiert, machte sie das kreativer. Assoziationen,die normalerweise eher selten auftraten, waren plötzlich häufig. Nemeth hatte absichtlich einen Störfaktor in den Test eingebracht, und das Ergebnis widersprach allem, was wir über richtig oder falsch zu wissen glauben. Die Gruppe, die absichtlich »kontaminiert« worden war, brachte am Ende originellere Verknüpfungen hervor als diejenige, die nur mit nackten Informationen versorgt worden war. Die »dissentierenden« Schauspieler stachelten die anderen Testpersonen dazu an, neue Räume des Nächstmöglichen zu erforschen, und das, obwohl sie streng genommen Falschinformationen in den Versuchsablauf einbrachten.
Nemeth konnte dasselbe Phänomen in den unterschiedlichsten Umgebungen und Situationen nachweisen, von Mock-Juries über Vorstandsbüros bis hin zu Akademikerseminaren. Was den Bereich von Innovation angeht, deutet dieses Ergebnis auf eine scheinbar paradoxe Tatsache hin: Gute Ideen treten eher in Umgebungen auf, in denen es einen gewissen Anteil von Störfaktoren und Irrtum gibt. Dabei möchte man eigentlich meinen, Innovation bräuchte Genauigkeit, Klarheit und Fokussierung. Gute Ideen müssen natürlich im Kern richtig sein. Das Wertvolle an ihnen ist, dass sie normalerweise mehr Information als Störfaktoren enthalten, aber das bedeutet nicht, dass gute Ideen sich am besten in störungsfreien Umgebungen kultivieren lassen. Störungsfreie Umgebungen sind häufig zu steril, und die Ergebnisse, die sie hervorbringen, zu vorhersehbar. Die innovativsten Umgebungen sind immer auch ein bisschen kontaminiert.
Wenn Sie das nächste Mal den Zoo oder ein Naturkundemuseum besuchen und die unglaubliche Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten bestaunen, nehmen Sie sich einen Moment Zeit und denken Sie daran, dass all diese Pracht – von den Stoßzähnen der Elefanten über die Schwanzfedern von Pfauen bis hin zumNeokortex des Menschen – zumindest teilweise das Ergebnis von Irrtümern ist. Ohne Störung würde die Evolution stagnieren und nur noch perfekte Kopien hervorbringen, die sich nicht an Veränderungen anpassen können. Aber weil die DNA
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