Wo immer Du bist, Darling
damals auch geschwiegen.«
Carolin sah ernst zu ihr. »Dann sind wir mit unserer Mission am Ende, bevor sie richtig angefangen hat. Aber das wollen wir nicht hoffen. Meistens tragen diese Menschen fast genauso schwer an dem miterlebten Unrecht wie die Opfer.«
Anja setzte sich neben ihr aufs Bett und lehnte sich gegen sie. »Wie soll ich dir nur danken, Caro? Ich weiß gar nicht, was ich ohne dich tun würde.«
»Wir sind Freundinnen, Anja. Du bist damals, als es mir wegen dieses Mistkerls Stefan so schlecht ging, praktisch rund um die Uhr für mich da gewesen. Hast du das vergessen? Außerdem hasse ich Ungerechtigkeit. Und diese hier stinkt förmlich zum Himmel.«
»Hoffentlich schaffen wir das.«
»Da bin ich mir ganz sicher.«
Anja atmete seufzend aus und nickte.
Da der Tag wirklich lange genug gewesen war, gingen sie nur wenig später schlafen. Anja fühlte sich zum ersten Mal seit der schlimmen Trennung von Ramon nicht mehr völlig machtlos. Sie konnte zwar nicht beeinflussen, dass er ins Gefängnis kam, die Länge seines Aufenthalts aber vielleicht schon.
Kalifornien, Mariposa, 13.10.2007, 11:33 Uhr
Vier Tage später präsentierte Oliver gute Nachrichten. Er hatte über eine behördeninterne Amtshilfe die Adresse von Thaddeus Baker herausgefunden.
Als er ihr den Zettel mit der Anschrift gab, wäre Anja ihm vor Dankbarkeit beinahe um den Hals gefallen. Ramons Prozess begann in zwei Wochen. Man hatte den Termin auf den 30. Oktober angesetzt, weil aufgrund seines Geständnisses keine aufwendige Beweisaufnahme mehr nötig war. Die Zeit wurde langsam knapp.
Sie hatte ihn seit seiner Verhaftung nicht mehr gesehen, geschweige denn, mit ihm gesprochen. Ramons Pflichtverteidiger hatte zwar auf ihr Drängen hin eine Besuchererlaubnis für sie beantragt, doch weil sie im Strafverfahren als Zeugin aussagen würde, hatte der zuständige Richter den Besuchstermin direkt nach der Verhandlung angesetzt. Sie würde Ramon erst in Modesto wiederbegegnen. Eine furchtbare Vorstellung, ihn vor Gericht zwar zu sehen, aber nicht sprechen oder berühren zu können …
Nervös entfaltete sie den Zettel und las Olivers akkurate Handschrift.
Carolin beugte sich ebenfalls darüber. »Mansfield, Pennsylvania. Da war ich auch noch nie.«
»Ich kümmere mich sofort um den Flug. Vielen Dank, Oliver«, wandte sich Anja wieder an ihn.
»Keine Ursache.« Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, lächelte er. »Was euren Flug angeht … Er startet um 16:30 Uhr. Ihr landet in Bradfort. Die restliche Strecke müsst ihr mit dem Mietwagen zurücklegen, den ich vorhin gebucht habe.«
*
Carolin sah Oliver überrascht an. Der Mann war das achte Weltwunder! Schon bei ihrem letzten USA-Aufenthalt hatte sich Oliver als Fels in der Brandung erwiesen und dieser Eindruck bestätigte sich aufs Neue.
»Das ist super, dass du dich schon um alles gekümmert hast.« Ehe sie die Sache ganz durchdacht hatte, schlang sie die Arme um seinen Nacken und küsste ihn mitten auf den Mund. Ihre Lippen begannen zu prickeln. Erschrocken riss sie das Gesicht zurück. Eigentlich hatte sie seine Wange anvisieren wollen. Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Hastig löste sie die Arme von Olivers Hals und vermied es, ihm in die Augen zu sehen. Plötzlich wieder der vollendete Feigling, wollte sie unter keinen Umständen wissen, was er gerade dachte. Sie dagegen musste zugeben, dass sich der Kuss nicht einmal schlecht angefühlt hatte. Sogar alles andere als schlecht … Sie räusperte sich und blickte zu Anja.
Ihre Freundin lächelte kaum merklich und zum ersten Mal, seit Carolin in den USA angekommen war, verlor ihre blasse Miene etwas von dem Kummer. »Wir sollten vorher anrufen, nicht, dass wir den ganzen Weg umsonst machen«, warf sie langsam in die erstarrte Runde.
»Stimmt«, bestätigte Carolin und registrierte mit einem leichten Ziehen im Magen, dass Oliver seine Hände von ihrer Taille löste. Jetzt erst. Offenbar hatte er es nicht eilig gehabt, sie freizugeben. Als bei dieser Erkenntnis das Ziehen in ihrem Magen zu einem mittleren Erdbeben anwuchs, konzentrierte sie sich hastig wieder auf ihre Aufgabe. »Aber wir sagen auf keinen Fall, worum es geht«, sprach sie an Anja gewandt weiter. »Meine bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass man mehr erreicht, wenn man die Leute persönlich damit konfrontiert. Wir dürfen bei dem Anruf also unter keinen Umständen ausplaudern, warum wir wirklich anrufen.«
Sie drehte den Kopf in Olivers
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