Wo immer Du bist, Darling
Richtung und riskierte nun doch einen Blick in seine Augen. Die haselnussbraunen Iris verrieten nichts von seinen Gedanken, dennoch spürte sie, dass sich bei dem Blickkontakt sofort eine Verbindung zwischen ihnen aufbaute. Genauso intensiv wie während des Kusses eben. Halt! Carolin riss sich zusammen. Für so etwas hatten sie jetzt keine Zeit. »Hast du eigentlich schon einmal eine Umfrage gemacht, Oliver?«
Er begriff erstaunlich rasch, worauf sie abzielte. Schnell hob er beide Hände. »Nein, vergiss es! So etwas mache ich ganz bestimmt nicht.«
Entgegen allen inneren Vorsätzen ritt Carolin plötzlich der Teufel. »Dann gehe ich auch mit dir aus.« Sie mochte vielleicht ein Feigling sein, aber dieser Kuss war einfach zu interessant gewesen, um es dabei bewenden zu lassen.
Einige Sekunden lang hingen ihre Worte wie eine Kampfansage in der Luft. Sogar Anja blickte neugierig vom einen zum anderen.
Oliver punktete damit, dass er über dieses Angebot gar nicht lange nachdachte. »Einverstanden. Was soll ich fragen?«
Carolin musterte ihn in stummer Verblüffung.
»Das ist im Grunde egal«, antwortete Anja an ihrer Stelle. »Hauptsache, wir wissen, dass er zu Hause ist.«
Kaum war die Vorgehensweise geklärt, schritten sie zur Tat.
*
Wenige Stunden später saß Anja neben ihrer Freundin in der kleinen Maschine. Obwohl ihr Herz wegen Ramon blutete, strahlte die Tatsache, dass sie nicht die Einzige war, die sich in den letzten Wochen verliebt hatte, wie ein kleines Licht in die Dunkelheit um sie herum.
»Oliver ist nett, findest du nicht?«, wagte sie sich zögernd auf explosiven Boden vor. Als sie sah, wie Carolin abwechselnd rot und blass wurde, setzte sie hinter ihre vorherige Überlegung gedanklich ein Häkchen.
Carolin sah sie an, öffnete den Mund, schloss ihn wieder. »Ich muss völlig verrückt sein …«, platzte es dann aus ihr heraus. »Die Sache mit Oliver ist unter Garantie das Blödeste, was ich je gemacht habe. Aber der Mann geht mir irgendwie unter die Haarwurzeln.«
Anja musste schmunzeln. »Dann solltest du dich wirklich mit ihm treffen.«
»Ja, stimmt. Das liegt wohl auf der Hand.« Carolin atmete tief durch, als müsste sie sich dessen selbst versichern. »Dabei passt ein pedantischer Schlipsträger doch gar nicht zu mir. Hat man so etwas schon erlebt?«
Anja lächelte immer noch. »Er ist auf jeden Fall ein vollkommen anderer Typ Mann als deine bisherigen.« Sie lehnte sich im Sitz zurück. »Ich kenne ihn zwar erst seit ein paar Tagen, aber als pedantischen Schlipsträger würde ich ihn nicht unbedingt bezeichnen …«
Carolin gab ein Schnauben von sich. »Du hättest uns beide am Anfang erleben sollen. Wir hätten uns beinahe gegenseitig ermordet.«
»Das wiederum kann ich mir sehr gut vorstellen.«
»Wie geht es dir hier drin eigentlich? Kommst du mit der Enge zurecht?«
Ihre Frage machte Anja erst bewusst, dass sie in einem beengten Flugzeug saßen. Ungläubig bemerkte sie, dass sich ihre ehemals lebensbestimmende Platzangst in Grenzen hielt. Vielleicht, weil sie unbedingt in dieses Flugzeug hatte steigen wollen und es schlichtweg Wichtigeres zu tun gab, als ihre Phobien zu pflegen. »Bis jetzt klappt es recht gut.« Sie zögerte und überlegte, ob sie das vorherige Thema erneut anschneiden sollte, gab ihrer Neugier dann nach. »Wie hat sich das zwischen dir und Oliver eigentlich entwickelt?«
Sie sah ihrer Freundin an, dass ihr abermals kurz die Panik ins Gesicht sprang, bevor sie langsam nickte. »Stück für Stück. Eigentlich ähnlich wie bei dir und Ramon … So wie er dein Halt war, war Oliver in den letzten Wochen meiner. Ich weiß nicht, wie ich diese furchtbare Suche nach dir ohne ihn durchgestanden hätte.« Ihre Augen glänzten feucht. »Es ist schon verrückt, wie sich die Dinge entwickeln können.«
»Ja, das ist es.« Anja drückte Carolins Hand.
*
Sie erreichten Mansfield erst in der Nacht, deshalb war es klar, dass sie mit ihrem Überfall auf Mr. Baker bis zum nächsten Morgen warten mussten. Müde suchte Carolin mit Anja das gebuchte Motel auf.
Als sich Carolin später die Zähne putzte, fiel ihr zum wiederholten Mal die kleine Holzfigur auf, die Anja auf die Ablage gestellt hatte. Sie nahm sie an sich und ging ins Zimmer zurück, in dem ihre Freundin auf dem Bett saß und den Kosmetikbeutel nach ihrer Creme absuchte. »Was ist das eigentlich für eine Figur, die du ständig mit dir trägst?«
Anja nahm sie voller Andacht entgegen.
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