Wo immer Du bist, Darling
werden«, begann Anja leise. »Wir sind mitten durch die Wildnis gelaufen. Anfangs wusste ich nicht, ob ich ihm vertrauen kann oder was er überhaupt vorhat. Aber dann … dann bin ich in diesen Fluss gefallen …«
Atemlos lauschte Carolin, als Anja ihr in groben Zügen berichtete, was sich ereignet hatte. Ganz entgegen ihrer üblichen Art unterbrach sie ihre Freundin kein einziges Mal, vollkommen gebannt von den Dingen, die sie erlebt und durch Ramon Peréz zum Glück überlebt hatte. Jetzt verstand sie auch, warum Anja so kreuzunglücklich aussah. Sie kannte ihre Freundin. In den ganzen Jahren ihrer Freundschaft hatte Carolin Anja noch nie so aufgewühlt erlebt. Selbst wenn man die ganze Aufregung und Verwirrung der Entführung abzog, stand außer Frage, wie viel sie für den Kubaner empfand … und wie verfahren die ganze Situation war.
»Was soll denn jetzt aus euch werden?«, fragte sie bestürzt, als Anja geendet hatte. »Ich glaube kaum, dass die hier«, sie nickte zur Glastür des Büros, »Ramon einfach wieder freilassen werden. Er wird im Gefängnis landen. Es wird Jahre dauern, bis du ihn wiedersiehst«, brachte sie es ungeschönt auf den Punkt.
»Ich weiß.« Anja sah weinend auf ihre Hände. »Aber das ändert auch nichts daran, dass ich ihn mehr als alles liebe.«
Carolin zog sie wieder in ihre Arme. »Es tut mir so leid, Kleine.«
Leises Klopfen ließ Carolin aufsehen.
Oliver streckte etwas verlegen den Kopf zur Tür herein, sprach aber nicht. Als Carolin bemerkte, mit welchem Taktgefühl er wartete, ob sie ihm die Erlaubnis zum Eintreten erteilte, zog sich ihr Herz gerührt zusammen. Nicht zum ersten Mal war sie froh, dass er sie in die USA begleitet hatte.
Als sie nickte, trat er ein und wartete, bis sich Anja die Tränen aus den Augen gewischt hatte, ehe er ihr eine Hand entgegenstreckte. »Hallo, ich bin Oliver Neumeier vom Auswärtigen Amt in Berlin.«
Anja ergriff zögerlich die dargebotene Hand. »Guten Tag.«
»Ich bin wirklich froh, Sie wohlauf zu sehen, Frau Zimmermann. Im Gegensatz zu Ihrer Freundin …«, Olivers Blick streifte Carolin, »habe ich schon mit dem Schlimmsten gerechnet. Chief Shepard hat mir eben berichtet, dass sich einer der Verbrecher in Gewahrsam befindet. Man wird bei der Verhandlung Ihre Aussage benötigen. Bis dahin werden aber noch einige Wochen vergehen. Falls Sie wollen, können wir Sie zwischenzeitlich nach Deutschland ausfliegen.«
Anja schüttelte den Kopf. »Ich würde lieber hierbleiben, wenn es geht.«
Carolin sah Oliver an, dass er über diese Bitte ebenso überrascht war, wie sie es vor Anjas Geständnis gewesen wäre. Trotzdem nickte er langsam. »Was Ihnen lieber ist, Frau Zimmermann.«
Als Carolin sah, dass Anja wieder mit den Tränen kämpfte, stand sie auf. » Oliver, kannst du Shepard bitte fragen, ob ich Anja mitnehmen kann? Sie braucht dringend Ruhe.«
Er nickte und verließ das Büro. Carolin strich Anja über den Arm. »Wenn wir erst mal im Motel sind, können wir uns besser unterhalten. Ich bin sicher, da lässt sich was machen. Man kann immer etwas machen«, munterte sie ihre Freundin auf.
Anja nickte dankbar.
Schon wenige Minuten später setzte Oliver sie vor dem Motel ab. Da das Zimmer ohnehin zwei Betten besaß, quartierte sich Carolin kurzerhand bei Anja ein.
Ihr gefiel es überhaupt nicht, wie blass und zittrig ihre Freundin aussah. »Wenn ich mal eine Diät machen will, schreibst du mir bitte die Koordinaten der Hütte auf, in der ihr in den letzten Wochen wart«, scherzte sie und zwang Anja, einige Bissen von dem Hamburger auf, den sie unterwegs mitgenommen hatten.
*
Anja spürte, wie bei Carolins Worten tatsächlich ein Lächeln an ihren Lippen zupfte. Die ganze Welt konnte untergehen, ihrer Freundin wäre selbst dazu noch ein Scherz eingefallen. Sie war wirklich heilfroh, sie bei sich zu haben.
»So tragisch war es gar nicht«, wehrte sie ab. »Wir hatten genug Vorräte. Ramon hat schon dafür gesorgt, dass es mir gut geht.«
»Er muss ganz schön ausgeschlafen sein, nach dem, was du von ihm erzählt hast.«
Langsam ließ Anja die Hände sinken. »Ich habe noch nie einen Mann wie ihn getroffen, Caro. Ramon war mein persönlicher Schutzengel. Er hat alles für mich getan. Nie hat er aufgegeben, nachgelassen oder gezögert … Wenn ich nur bei ihm sein könnte. Das wünsche ich mir mehr als alles andere.«
*
Carolin legte den Hamburger beiseite und strich Anja über den Rücken. »Wir werden
Weitere Kostenlose Bücher