Wo immer Du bist, Darling
ständig darüber nach, wie es wohl anderen Eltern ergeht.«
Anja tat es erstaunlich gut, Petra zuzuhören. Zwar lag ihre Geschichte etwas anders, aber unterm Strich waren sie gerade beide allein.
Angesteckt von der sympathischen, offenen Art der jungen Frau, begann sie schließlich zu erzählen. »Adrians Vater ist Kubaner. Er befindet sich in den USA.«
Petra hörte interessiert zu, als sie ihr stockend die Erlebnisse ihrer Urlaubsreise im letzten Herbst schilderte.
»Das ist ja so ungerecht, ihr liebt euch doch. Wie können Menschen nur so hartherzig sein!« Betroffen schwieg sie einen Augenblick. »Hast du versucht, über die Deutsche Botschaft Kontakt mit ihm aufzunehmen? Vielleicht können die was machen.«
Anja schüttelte den Kopf. Über Oliver hatte sie die besten Verbindungen, doch sogar er hatte nichts ausrichten können. »Glaub mir, ich habe alles versucht, aber manche Dinge lassen sich nicht ändern. Die Briefe, die ich Ramon kurz nach unserer Trennung geschrieben habe, sind zurückgekommen. Ich habe es einige Wochen später noch einmal versucht, mit demselben Ergebnis. Ich kann ihn nicht erreichen. Damit muss ich mich abfinden.«
»Das ist echt schlimm. Wenigstens hast du jetzt Adrian.«
Anja lächelte unter Tränen. »Ja. Du ahnst nicht, wie glücklich mich das macht.«
»Doch, das kann ich gut verstehen.«
Die Tür schwang auf und die Oberschwester trat wieder ins Zimmer. Auf dem Arm trug sie ein kleines, quäkendes Bündel. Schlagartig versiegten alle traurigen Gedanken in Anja. Selig lächelnd nahm sie ihren Sohn entgegen.
Petra beugte sich ebenfalls über sein kleines Gesicht. »Hast du ein Bild von Ramon? Ich könnte wetten, dass er ihm ziemlich ähnlich sieht.«
»Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr«, hauchte Anja.
Petra drückte ihre Schulter und vermittelte ihr dadurch das Gefühl, als würden sie sich schon ewig kennen.
Ein leises Klopfen an der Tür ließ sie gleichzeitig aufsehen. Sobald sie »Herein« gerufen hatten, wurde die Tür auch schon aufgerissen und plötzlich standen Carolin und Oliver flankiert von Marlene im Zimmer. Nach einer stürmischen Begrüßung beugten sich nun fünf Köpfe über ihren Sohn.
»Ich will ja nicht voreilig sein«, bemerkte Carolin. »Aber dein Sohn wird bestimmt mal ein ganz heißer Feger werden. Mit der Hautfarbe und den blauen Augen.«
»Außerdem hat er ganz schön Kraft«, fügte Oliver hinzu und streckte einen zweiten Finger nach der kleinen Faust aus.
Anja schmunzelte, deutlich Adrians sehr attraktives, älteres Ebenbild vor Augen. Es wäre eigentlich kein Wunder, wenn Ramons Sohn später genauso unverschämt gut aussehen würde wie sein Vater. »Vielleicht verliert er die blauen Augen ja noch«, gab sie trotzdem zu bedenken. »Viele Babys haben am Anfang blaue Augen.«
»Nicht in dieser Farbe.« Carolin grinste sie an. »Das ist doch genau die gleiche wie deine. Was meint die Expertin?«, fragte sie an Marlene gewandt.
Abermals beugten sich fünf Köpfe über den Säugling.
»In einigen Monaten wissen wir mehr«, stellte die Ärztin lächelnd fest.
Auch am nächsten Tag ging es lebhaft zu, denn diesmal rückten portionsweise die Kolleginnen aus Anjas Station an. Kaum waren sämtliche Besucherinnen abgerauscht, klopfte es schon wieder.
Petra blickte sich lachend im Zimmer um. »Ganz ehrlich, ich glaube nicht, dass wir noch irgendwo Platz für Blumen haben.«
Anja schüttelte grinsend den Kopf und wandte sich dem jungen Mann zu, der gerade den Raum betreten hatte. Entgeistert wechselte ihr Blick zwischen ihm und Petra. Er wirkte wie das exakte männliche Ebenbild von ihr. Die gleichen hellbraunen Haare, die gleiche dunkelbraune Augenfarbe, identische Gesichtszüge. Seine kräftige, mittelgroße Statur gab ihm die selbstsichere Ausstrahlung eines Menschen, den nichts aus der Bahn werfen konnte.
Als sie zu ihrer Zimmergenossin blickte, grinste diese bereits. » Anja, darf ich dir meinen Zwillingsbruder Lars vorstellen?«
Er kam bereits auf sie zu. Augenscheinlich besaß er die gleiche offene Art wie seine Schwester, denn er griff ohne zu zögern nach ihrer Hand und schüttelte sie herzhaft.
»Schön, dich kennenzulernen, Anja. Benimmt sich meine Schwester auch anständig?« Er zwinkerte Petra frech zu.
Anja musste lachen. »Ja, sie ist echt spitze.«
Lars grinste breit und setzte sich zu ihnen. Als die Schwester hereinkam und ihre Medikamente brachte, nahm Petra sofort eine der Schachteln in die Hand. Sie las laut den
Weitere Kostenlose Bücher