Wo immer Du bist, Darling
dauerte fast eine Stunde, bis Oliver wieder zu einem Minimum an Höflichkeit fand.
Seine Beifahrerin ignorierte ihn und blickte demonstrativ aus dem Fenster. Ihre Finger zuckten immer noch verdächtig.
Auch gut, dachte Oliver, als er ihr abweisendes Profil sah. So hatte er wenigstens seine Ruhe. Bis Mariposa war es noch ein weiter Weg.
5.
Nacht der Entscheidung
Kalifornien, Sierra Nevada, 02.09.2007, 21:49 Uhr
A nja lauschte angestrengt der Diskussion der Männer im Nebenraum. Irgendetwas stimmte nicht.
Sie verstand zwar kein Wort, aber der gereizte Tonfall verhieß nichts Gutes. Nachdem Ramon ihr vor einigen Stunden wortlos das Abendessen gebracht hatte, war nur Rodrigues noch einmal hereingekommen und hatte sie auf die Toilette begleitet. Bei seinen schmierigen Blicken hatte es ihr den Magen umgedreht. Seitdem zuckte sie jedes Mal zusammen, wenn sich Schritte der Tür näherten.
Sie konnte nur zu Gott beten, dass den Männern nicht noch Schlimmeres einfiel, als sie nur gefangen zu halten.
Minuten und Stunden vergingen wie in Zeitlupe, aber niemand betrat zu ihrer unendlichen Erleichterung den Raum. Irgendwann wurden die Stimmen nebenan leiser und verhallten schließlich ganz. Mangels einer anderen Wahl aß Anja das restliche Brot und legte sich hin.
Sie schlief traumlos, tief und fest … bis sich plötzlich eine warme Männerhand auf ihren Mund legte.
Anja riss die Augen auf. Kein Licht, keine Stimmen, nur tiefschwarze Nacht.
Schreckensvisionen einer Vergewaltigung blitzten durch ihren Kopf und ließen pures Adrenalin durch ihre Adern schäumen. Sie riss die gefesselten Arme hoch und begann mit aller Kraft am Unterarm des Angreifers zu zerren. Ihre Finger bearbeiteten stählerne Muskeln. Völlig wirkungslos. Trotzdem gab sie nicht auf. Erbittert kämpfte sie darum, ihren Mund freizubekommen.
Sie schaffte es nicht. Die Hand bewegte sich keinen Millimeter und dämpfte jeden ihrer Schreie in nutzloses Fiepen. In hilfloser Panik begann Anja wild zu strampeln – genau zwei Sekunden lang, dann landete ein Arm quer über ihren Beinen und nagelte sie endgültig am Bett fest.
Bitte nicht! Bitte das nicht!
Aus Verzweiflung schossen ihr Tränen in die Augen. Sie konnte rein gar nichts ausrichten, scheiterte sogar an dem banalen Versuch, um Hilfe zu rufen. Aber selbst wenn ihr das gelungen wäre, wer konnte sie hier schon hören? Jedenfalls niemand, der sie tatsächlich retten würde.
Die Ausweglosigkeit ihrer Lage fraß sich in ihren Kampfgeist und lähmte auch noch den letzten Rest an Widerstand.
Als hätte ihr Angreifer einen sechsten Sinn, beugte er sich im selben Moment über sie. Anja verkrampfte sich wimmernd. O Gott! Bitte lass es schnell vorbei sein.
»Scht, ich will keinen Mucks mehr hören«, erklang neben ihrem Ohr ein raues Flüstern.
Sie verstummte schlagartig. Ramon? Seine Stimme hätte sie überall erkannt.
Obwohl sie auch bei ihm nicht wusste, was ihn dazu veranlasst hatte, mitten in der Nacht an ihrem Bett aufzutauchen, entspannte sie sich merklich. Sie hatte zwar keine logische Erklärung dafür, aber irgendwie glaubte sie nicht, dass er ihr etwas antun würde. Dazu hätte er bislang weiß Gott schon genug Gelegenheiten gehabt.
Sie nickte unter seinen Fingern. Ramon nahm langsam den Arm weg und löste die Hand von ihrem Mund. Anja konnte in der Dunkelheit nichts sehen, spürte aber, dass er sich immer noch dicht über sie beugte. Ein angenehmer Duft nach Sandelholz streifte ihre Nase.
»Also, die Sache ist die«, erklärte er leise. »So, wie es aussieht, werden die Forderungen zu deiner Geiselnahme nicht erfüllt. Du hast jetzt zwei Möglichkeiten: Du begleitest mich nach draußen auf einen kleinen Ausflug … oder du bleibst hier und findest heraus, was mein Bruder mit dir anstellt, wenn die Frist abläuft.«
Anja dachte fieberhaft nach. Stimmte das, was er behauptete?
Nach dem lautstarken Streit von vor einigen Stunden zu schließen … ziemlich wahrscheinlich sogar. Sie zögerte nicht lange. »Ich komme mit dir.«
Am Rascheln seiner Kleidung erkannte sie, dass sich Ramon wieder aufrichtete. Gleich darauf spürte sie seine Finger an ihrem Fußgelenk. Ein leichter Ruck mit dem Messer und ihre Beine waren frei. Er wiederholte die Prozedur an den Handgelenken, dann griff er nach ihr.
Anja ließ sich von ihm am Ellbogen hochziehen und streckte sicherheitshalber eine Hand in die Dunkelheit vor sich. Ihre tastenden Finger kollidierten geradewegs mit einem
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