Wo immer Du bist, Darling
sie ab und reichte ihm den Wasserkanister zurück. Als sie fertig gegessen hatten, nahm Ramon Topf und Besteck, rieb alles mit Sand ab, verstaute die Sachen wieder in den Satteltaschen und holte mehrere Decken heraus. Dann machte er sich daran, Zweige aufzustapeln. Anja, die die Prozedur schon kannte, half ihm, indem sie die Decken über den Schlafplatz breitete.
Erleichtert setzte sie sich und streifte die Schuhe ab. Es war naheliegend, sie so knapp wie möglich am Feuer zu deponieren, damit sie wenigstens etwas trocknen konnten, bevor sie am nächsten Morgen wieder ihre Füße hineinzwängen musste. Grübelnd testete sie den Mindestabstand zu den Flammen aus. Hoffentlich fackelten die Dinger nicht still und heimlich ab, während sie schlief. Das hätte zweifelsohne größere Unannehmlichkeiten mit sich gebracht. Aber mit Blick auf Ramon, der weiterhin ruhig im Feuer stocherte, baute sie darauf, dass er sie darauf hingewiesen hätte, falls etwas Derartiges zu befürchten gewesen wäre.
Anja benutzte ihr nasses Oberteil, um sich den Schmutz aus dem Gesicht zu wischen. Wenigstens hatte die hartnäckige Feuchtigkeit den Vorteil, dass sie sich notdürftig säubern konnte, ohne dafür Trinkwasser zu verschwenden.
Zum Schluss versuchte sie, mit den Fingern ihre verknoteten Locken zu entwirren. Nachdem sie dabei, außer sich jede Menge Haare auszureißen, keine nennenswerten Fortschritte erzielte, ließ sie es bleiben und legte sich hin.
Mittlerweile hatte Ramon noch mehr Holz nachgelegt und setzte sich ebenfalls.
»Morgen kommen wir an einem Bach vorbei. Dort kannst du dich waschen.« Er lehnte sich an einen Baumstamm am Rand des Lagers und positionierte das Gewehr neben seinen Beinen.
Sie richtete sich wieder auf. »Gehst du nicht schlafen?«
»Ich bleibe noch ein wenig wach. Leg dich ruhig hin.« Er griff nach seinem Messer und fing an, ein kleines Stück Holz zu bearbeiten.
»Denkst du, dass der Bär in der Nähe ist?« Anja blickte bezeichnend auf das Gewehr.
»Falls ja, möchte ich lieber vorbereitet sein. Gute Nacht.«
Sie nahm einen tiefen Atemzug und wünschte ihm ebenfalls eine gute Nacht, auch wenn es für ihn nicht danach aussah.
Anja erwachte frierend. Sie vermisste schmerzlich das Feuer, das nur noch schwach glimmende Äste zurückgelassen hatte. Ihr Blick wanderte zu Ramon.
Eine Hand auf das angewinkelte Bein gestützt, lehnte er immer noch unverändert am Baum, saß entspannt und regungslos da. Einen Moment lang glaubte sie, er würde schlafen, dann bemerkte sie seinen wachsamen Blick unter dichten, halb gesenkten Wimpern.
»Ist dir kalt?«, fragte er weich.
Sie nickte. Einen Augenblick sah sie ihn schweigend an, dann rutschte sie samt Decken wie selbstverständlich neben ihn und bettete den Kopf an seine Schulter. Genauso selbstverständlich legte Ramon einen Arm um sie, zog sie sacht näher und steckte die Decke hinter ihrem Rücken fest.
Anja schloss bei seiner fürsorglichen Behandlung die Augen und schmiegte sich entspannt an ihn. Sein ruhiger Herzschlag drang an ihr Ohr und bewirkte, dass sie wohlig geborgen sofort wieder einschlief.
Kalifornien, Sierra Nevada, 04.09.2007, 07:13 Uhr
Anja wurde erst wieder wach, als ein Finger sanft ihre Wange kitzelte.
»Aufstehen, mi alma , wir müssen weiter.« Ramons tiefe Stimme war ganz nah. Sie spürte, wie er seine Arme von ihr löste, und seufzte leise.
Äußerst widerwillig öffnete sie die Augen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie noch einige Stunden an ihn gekuschelt weitergeschlafen. Aber es half nichts. Je eher sie die schützende Hütte erreichten, desto besser. Sie gähnte herzhaft hinter vorgehaltener Hand, kraxelte aus den Decken und inspizierte ihre ehemals roten Stoffschuhe.
Sie waren nur noch geringfügig feucht, trotzdem schlüpfte sie mit leichtem Erschaudern hinein, wusste sie doch, dass sie sich bald wieder klamm und kalt anfühlen würden. In Vorbereitung auf den anstehenden Tagesmarsch krempelte sie Ramons Hose auf eine vertretbare Länge. Anschließend wiederholte sie die Prozedur an den Hemdsärmeln.
Bis sie damit fertig war, hatte Ramon bereits Kaffee gemacht und war dabei, die Ausrüstung zu verstauen.
Anja füllte das dampfende Gebräu in den Becher, nippte daran und reichte ihn an Ramon weiter.
Sie beugte sich vor, zupfte ihre dreckigen und zerstörten Kleider von den Felsen und musterte sie unschlüssig. Vielleicht ergab sich ja die Möglichkeit, die Sachen später im Bach zu waschen.
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