Wo immer Du bist, Darling
zu ihr herum. Einen Moment lang sah er aus, als wüsste er nicht, was er auf ihre Frage antworten sollte. »Reitunfall, vor ein paar Jahren«, murmelte er dann.
Anja beobachtete, wie er sich mit abgehackten Bewegungen das frische Hemd über den Kopf zerrte, und wusste hundertprozentig, dass er log. Dennoch brachte sie nicht den Mut auf, weiter in ihn zu dringen. Seine Reaktion hatte deutlich gezeigt, wie ungern er über diese Sache sprach.
Als Ramon nach den Knöpfen seiner Hose griff, musterte sie angelegentlich den Waldboden. Lieber würde sie wieder in den Fluss springen, als sich beim Gaffen erwischen zu lassen.
Um sich von dem sicher lohnenden Anblick direkt vor ihrer Nase abzulenken, grübelte sie erneut über ihre Entdeckung nach. Woher auch immer diese Narben stammten, sie würde jede Wette eingehen, dass es irgendeine Verbindung zu Ramons gestriger Aussage über die »Leichen« gab. Zwangsläufig fragte sie sich, was für eine Geschichte hinter seiner zumeist kühlen Fassade steckte.
*
Ramon blickte auf Anjas gesenkten Kopf. Er konnte förmlich die Gedanken hinter ihrer hübschen Stirn rattern hören, selbst wenn er ihr ausdrucksvolles Gesicht gerade nicht sah. Miss Neugierde hatte ihm also seine improvisierte Antwort nicht abgekauft. Das hatte er sich schon fast gedacht. Er würde jedenfalls nichts mehr sagen. Nur, weil sie gemeinsam durch die Wildnis spazierten, hieß das noch lange nicht, dass er vor ihr seine ganze Seele ausbreitete. Die Narben gehörten zu seinem Leben wie die Ereignisse, die ihnen zugrunde lagen.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass Anja immer noch in den nassen Sachen dastand.
»Willst du dich nicht umziehen, solange das Feuer noch stark brennt?« Er zeigte auf die zusammengelegte Kleidung in ihren Händen.
Als hätte sie das völlig vergessen, blickte Anja erst die Kleider und dann ihn an. Sofort hob Ramon beschwichtigend die Hände und drehte sich um. Das war zwar ein lächerliches Maß an Privatsphäre, aber immer noch besser als nichts.
Er wartete, bis das Rascheln hinter ihm nachließ, bevor er über seine Schulter sah.
Wie vorausgesagt, fielen seine Sachen an ihr erheblich zu groß aus, was bewirkte, dass sie noch zierlicher und weiblicher aussah als ohnehin schon. Statt die weichen Rundungen zu verbergen, hob der locker fallende Stoff sie erst recht hervor. Auch ohne es auszuprobieren, ahnte Ramon, dass das weite Hemd verführerische Einblicke ermöglichte. Er fluchte lautlos. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er hatte sich geschworen, ihr nicht wieder an die Wäsche zu gehen, aber irgendwie fiel es ihm zunehmend schwerer, sich an den Grund für diesen Vorsatz zu erinnern.
Ehe er über ihre erregende Wirkung auf seine Sinne zu lange nachdenken musste, begann er geschäftig in den Satteltaschen zu wühlen. »Wie steht es jetzt mit Abendessen?«
Anja spähte über seine Schulter. »Was hast du denn?«
Ramon förderte einen Behälter mit Wasser zutage und hielt zwei Dosen in die Höhe. »Hier haben wir Bohnen …«, er sah zu der anderen Hand, »… und Bohnen«, stellte er fest und zuckte grinsend mit den Schultern. »Tut mir leid, es musste gestern alles ein bisschen schnell gehen.«
»Wenn das so ist«, meinte sie und lächelte, »dann nehme ich doch die Bohnen.«
»Kommen sofort.« Er öffnete eine Dose mit dem Messer, kippte den Inhalt in einen Emailletopf und hängte ihn mithilfe eines Gestells über das Feuer.
Anja setzte sich neben ihn. Ramon war ihr einerseits dankbar dafür, dass sie den klaffenden Kragen des Hemdes zusammenraffte, andererseits enttäuscht, auch wenn er vermieden hatte, genauer hinzusehen. Er hatte wirklich nicht vor, sich noch einmal auf sie zu stürzen, aber ein Heiliger war er eben auch nicht. Je mehr er von ihr zu sehen bekam, desto schwerer fiel es ihm, seine Manieren nicht zu vergessen.
Bewusst nicht in ihre Richtung sehend, erwärmte er die Bohnen.
*
Anja kaute andächtig an einem Stück trockenem Brot und löffelte mit Ramon gemeinsam die heißen Bohnen aus dem Topf. Sie konnte sich nicht entsinnen, jemals etwas Besseres gegessen zu haben, so hungrig war sie.
»Du hast an alles gedacht. Du warst wohl schon öfter draußen unterwegs?« Sie schraubte den Verschluss des Kanisters ab und füllte den Becher.
»Manchmal«, antwortete er lakonisch.
»Wie lange werden wir noch brauchen, bis wir deine Hütte erreichen?«
»Etwas weniger als zwei Tagesmärsche.« Er hielt ihr noch ein Stück Brot hin.
Dankend lehnte
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