Wo immer Du bist, Darling
schluckte und hätte sich gern in Luft aufgelöst. Sie hatte genau die Felswände angesteuert. Orientierungssinn, eines ihrer größten Talente? Wohl eher nicht.
»Vielleicht möchtest du vorausgehen?«, schlug sie kleinlaut vor.
Jetzt lächelte Ramon wirklich. Mit einer geübten Bewegung schulterte er das Gewehr und zog den Gurt so, dass er es leicht erreichen konnte, dann ging er zügig los. Anja trottete hinterher und blickte sich resigniert um. Der verflixte Wald sah aber auch überall gleich aus. Wie sollte man sich zurechtfinden, selbst, wenn man nicht abgekämpft und müde war?
Wenig später senkte sich die Nacht über den Wald und Ramon streckte seine Hand nach ihr aus, damit sie sich in der Dunkelheit nicht verloren. Sie nahm das Angebot dankbar an. Ihre schmale Hand verschwand beinahe in seinen kräftigen Fingern, die sich sofort mit festem Griff um ihre schlossen. Ja, dachte sie erneut, bei Ramon war sie in Sicherheit.
Als die Lufttemperatur langsam aber stetig abkühlte, begann sie wieder in ihren immer noch nassen Kleidern zu frieren. Nicht einmal die ständige Bewegung konnte verhindern, dass sie haltlos zu schlottern begann. Die Finger weiterhin mit Ramons verschlungen, achtete sie angestrengt auf jede Unebenheit des dunklen Waldbodens.
Sie gingen zwanzig Minuten, bis Ramon eine geeignete Stelle fand, an der sie sich ausruhen und übernachten konnten. Er betrachtete kurz ihr Gesicht. Anscheinend war ihr die Anstrengung deutlich anzusehen, denn er rieb aufmunternd über ihre eiskalten Arme. »Gleich machen wir Feuer, dann wird es dir wieder wärmer.«
Sie nickte. »Es ist hier ganz schön frisch nachts.«
»Besonders, wenn man in nassen Sachen herumläuft.« Ramon ließ die Satteltaschen fallen und begann Feuerholz zu sammeln. Anja half ihm, nur um dann festzustellen, dass er ihres nicht benutzte.
»Was stimmt mit meinem Holz nicht?«, fragte sie, als er Steine um seinen Holzstapel platzierte und dann Laub unter den Haufen steckte.
»Es ist zu nass«, erklärte er, ohne aufzublicken. »Nasses Holz raucht und ist meilenweit zu sehen, selbst im schwachen Mondlicht. Das können wir uns nicht leisten, nicht, wenn mein Bruder womöglich noch irgendwo da draußen herumstreift.« Er kramte in den Satteltaschen nach einem Sturmfeuerzeug und entzündete die Blätter.
Anja konnte körperlich spüren, wie das Feuer zum Leben erwachte, denn sofort strahlte es eine angenehme Wärme ab und vertrieb die schlimmste Kälte.
Ramon öffnete die andere Satteltasche und reichte ihr eine verwaschene Jeans sowie ein dickes, kariertes Flanellhemd. »Hier. Meine Sachen sind dir wahrscheinlich fünf Nummern zu groß, aber etwas anderes haben wir leider nicht.«
Sie drückte dankbar den weichen Stoff an sich, sie hätte auch mit Freuden einen Kartoffelsack angezogen – vorausgesetzt, er war trocken.
»Jetzt aber nichts wie raus aus den nassen Klamotten.« Mit einem schnellen Ruck streifte sich Ramon das Hemd über den Kopf und warf es auf einen Felsbrocken.
Ihr blieb die Spucke weg. Wie gebannt starrte sie auf seinen nackten Oberkörper. Obwohl sie die harten Flächen schon mehrfach angefasst hatte, war es doch etwas komplett anderes, diese gänzlich unbekleidet zu sehen.
Schnell sah sie weg, dann wieder hin.
Ihre Vermutung hinsichtlich seines Körperbaus traf vollauf ins Schwarze. Geschmeidige Muskeln verliefen über Arme und Brust, spannten sich schön definiert bei jeder noch so kleinen Bewegung an. Aufgrund seiner kubanischen Herkunft besaß seine Haut eine natürliche Olivbräune, der das Licht des Feuers einen atemberaubenden Goldton verlieh. Ihr Blick blieb an seinem bretthart durchtrainierten Bauch hängen. Die welligen Linien luden förmlich dazu ein, mit den Fingern auf Erkundungstour zu gehen. Hastig krallte Anja die Hände in das Kleiderbündel. Etwas Derartiges würde sie sich auf keinen Fall erlauben.
Ramon drehte sich arglos von ihr weg und nahm eine zweite Garnitur Kleidung aus der Tasche.
Anja entdeckte unglaublich lange, schräg über seinen Rücken verlaufende Narben. Durch ihre Ausbildung als Krankenschwester konnte sie sich vorstellen, was solch tiefe Narben hinterlassen hatte. Ein schwerer Stock, vielleicht sogar ein Messer. Obwohl sie schon sehr alt aussahen, würden sie wahrscheinlich nie mehr ganz verschwinden.
»Was ist mit deinem Rücken passiert?«, fragte sie heiser, ehe sie darüber nachdenken konnte, wie ihr Interesse auf ihn wirken musste.
Ramon fuhr mit dem Hemd in der Hand
Weitere Kostenlose Bücher