Wo Licht im Wege steht
auch einen Wagen wegfahren. Dann lief ich zur Straße hinauf. Meine Knie trugen mich kaum.«
»Und wie kamen Sie in die Stadt?«
»Ich hielt einen Wagen an und erzählte die übliche Geschichte. Ich sei mit meinem Mann ausgegangen, aber er habe sich schlecht benommen. Der Fahrer war sehr galant.«
»Er fuhr Sie hierher?«
»Was soll diese dumme Frage, Donald? Ich ließ mich von ihm vor einem Hotel in der Stadt absetzen. Und nachdem er weggefahren war, nahm ich mir ein Taxi und fuhr hierher.«
»Vermutlich haben Sie Ihrem Kavalier wieder eine wundervolle Geschichte erzählt, so mit allen Details. Ähnlich, wie Sie sie mir servierten?«
»Natürlich«, sagte sie. »Wenn ein Kavalier um diese Nachtstunde ein Mädchen auf der Straße aufliest, darf er doch zumindest eine gute Geschichte erwarten.«
»Zumindest?« fragte ich.
Sie lachte. »Donald, Sie sind wirklich ein ganz herziges und naives Schaf.«
»Er machte natürlich Annäherungsversuche?«
»Fragen Sie nicht so töricht! Kennen Sie denn Ihre eigene Gilde so wenig?«
»Wie kam es eigentlich, daß Sie auf die Rückseite der Menükarte >Kozy Dell Slumber Court< schrieben?«
»Das schrieb nicht ich.«
»Wieso? Es steckte doch in Ihrem Zigarettenpäckchen, das Sie...«
»Ich weiß, aber ich habe es nicht geschrieben.«
»Wer denn?«
»Wenn ich das nur selber wüßte. Ich bin dabei, es herauszufinden — verstehen Sie, Donald?... Nein, das werde ich Ihnen erst sagen können, wenn ich Sie besser kenne.«
»Sie sind eine ganz gefährliche kleine Person, verstehen Sie mich?«
Sie drehte sich rasch auf dem Bett herum, so daß sie mir in die Augen sehen konnte.
»Ja«, sagte sie. Und dann nahm sie mein Gesicht zwischen ihre beider, Hände, zog mich näher zu sich und küßte mich. Es war ein Kuß, den man nicht so leicht vergessen kann, und er dauerte eine ganze Weile. Dann stieß sie mich von sich, ganz plötzlich.
»Nun«, sagt sie, »jetzt dürftest du wohl über alles Bescheid wissen.«
Dabei blickte sie mich aufreizend und herausfordernd an.
»Ja«, sagte ich und stand langsam vom Bett auf. Ich ging auf die Tür zu.
»Wo willst du hin?«
»Zuerst«, sagte ich, »werde ich meinen Freund Frank Sellers anrufen. Er ist bei der Mordkommission tätig und glaubt, ich hätte ihn in dieser Sache verdammt angelogen. Ich wünsche, daß er mit dir spricht.«:
»Donald, du kannst doch auf diesem Weg nicht hinausgehen.«
»Nun, dann werde ich einen anderen nehmen.«
»Nein, nein, dann doch lieber hier durch. Meine Schwester ist in dem vorderen Zimmer.«
»Und wo ist Mrs. Marbury?«
»Sie ist heute abend ausgegangen. Donald - bitte, liebster Donald, gib mir doch eine Chance. Ich werde auch überall mit dir hingehen.«
»Was soll das heißen, überall?«
»Genau das, was es besagt. Wenn du mir eine Chance gibst und vierundzwanzig Stunden nichts unternimmst, werde ich alles tun, was du wünschst.« '
»Du meinst...«
»Mein Gott, willst du denn nicht begreifen?«
»Zieh dich an«, sagte ich.
»Ich werde mich beeilen. Bitte geh solange in das Schlafzimmer am Ende der Halle. Es ist das meiner Schwester. Dort warte auf mich. Ich werde sofort hinüberkommen, sobald ich angezogen bin. Und dann werden wir zusammen zu meiner Schwester hineingehen und dich ihr vorstellen. Ich werde ihr sagen, daß du mich abholen wolltest und durch die Seitentür am Innenhof hereingekommen bist. Du wirst meine Schwester kennenlernen. Sie ist ein liebes, unschuldiges Mädchen. Stanwick hat ihr das Herz völlig gebrochen, und das einzige, was sie tut, ist lesen. Sie liest unentwegt. Wenn du sie siehst, wirst du sofort alles verstehen, was ich dir erzählt habe. Und du wirst auch mich verstehen. Vielleicht erkennst du doch noch, daß ich gar kein so abscheuliches Wesen bin. Ich habe lange über dich nachgedacht letzte Nacht. Und es tat mir leid, daß ich so
mit dir umspringen mußte, aber es war zu spät. - Also gut, sei lieb und tu, was ich dir sage.«
Sie nahm mich beim Arm, schob mich hinaus und zeigte auf eine Tür, die unten am Ende des Ganges lag.
»Dort, Donald, und warte bitte, es dauert nicht lange.«
Ich ging ein paar Schritte und hörte, wie sie die Tür schloß. Dann schlich ich vorsichtig über vier Stufen hinunter zum Ende des Korridors. Neugierig blinzelte ich durch einen Vorhang. Ich sah in einen großen Wohnraum; ein junges, brünettes Mädchen lag ausgestreckt auf der Couch. In der einen Hand hielt sie ein Buch, in der anderen eine brennende Zigarette.
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