Wo niemand dich findet
sinken, trat einen Schritt zurück und lehnte sich gegen die Küchenzeile. »Gegen eine Wand«, sagte er trocken. Ärger wallte in ihm auf.
»Ist nicht so schlimm, wie’s aussieht«, meinte sie und verzog das Gesicht. »Es tut nicht mal richtig weh.«
»War Stockton das?« Nathan würde den Kerl eigenhändig erwürgen. Und ihm hinterher noch den Kopf abreißen.
»Was?«
»Troy Stockton. Ist er das gewesen?«
»Nein.«
»Wer dann?«
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah sich in der Küche um. Nun fühlte sie sich sichtlich unwohl. Und das lag nicht allein an dem hellen Licht.
Da begriff er endlich.
Es hatte was mit ihrem Job zu tun. Die Wunde hatte sie sich bei der Arbeit zugezogen. Wahrscheinlich wegen Melanie.
»Ich hätte nicht herkommen sollen.« Sie schüttelte den Kopf und blickte zur Seite. Sie sah überall hin, außer zu ihm. »Ich wusste, dass du ausflippen würdest.«
»Sag mir doch, was passiert ist.« Er hielt den Rand
der Arbeitsplatte umklammert. Fand, dass er seine Sache eigentlich ziemlich gut machte und nicht ausflippte. Obwohl er auf nichts anderes blicken konnte als diesen großen, geschwollenen blauen Fleck auf ihrer Wange.
Sie seufzte. »Hör mal, Nathan. Ich hatte einen echt harten Tag. Lass mich erst mal ins Bad gehen und mich frisch machen, okay? Dann erzähle ich dir alles.«
Als sie ihm endlich in die Augen sah, wusste er, dass sie ihn anlog. Sie würde ihm nicht alles erzählen. Sie würde argwöhnisch bleiben. Auf der Hut sein, genau wie immer.
Aber er nickte und spielte mit. »Fühl dich wie zu Hause.«
Er sah ihr nach, wie sie in den Gang trat, und nach wenigen Minuten hörte er, wie im Badezimmer das Wasser ins Waschbecken lief.
Er ließ die Arbeitsplatte los. Und biss nicht länger die Zähne zusammen. Er atmete tief durch, um seine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.
Ärger. Enttäuschung. Beschützerinstinkt. Er wusste nicht, welche Empfindung die stärkste war, aber er musste alle drei in Zaum halten, ehe er sich zu etwas hinreißen ließ, das er später bereuen würde.
Etwa Alex zu sagen, dass sie Melanies Fall sausen lassen sollte. Oder noch besser, dass sie ihren Job aufgeben sollte. Sie mochte es überhaupt nicht, wenn man ihr Ratschläge oder gar Befehle erteilte. Vor allem nicht, wenn er es tat.
Er holte den Korkenzieher aus der Schublade und gab ihr einen kräftigen Schubs, sodass sie laut zuknallte. Mit wütenden, abgehackten Bewegungen entkorkte er den
Wein, den er am Anfang dieser Woche gekauft hatte in der Hoffnung, Alex damit rumzukriegen. Stattdessen wäre er beinahe mit Nicole im Bett gelandet.
Er goss ein Glas ein und stellte es auf die Arbeitsplatte. Anschließend bereitete er einen Eisbeutel vor und trug ihn in das Gästebad. Ein schmaler Lichtstreifen fiel auf den Gang. Durch den Spalt in der Tür sah er, wie sie in einem schwarzen Sport-BH und Jeans vor dem Waschbecken stand. Ihr überraschter Blick und seiner begegneten sich im Spiegel.
»Hi«, sagte sie und hielt ihr zusammengeknülltes T-Shirt unter den Wasserhahn.
Er stieß die Tür ein wenig weiter auf und legte den Eisbeutel auf die Ablage. »Brauchst du was, um die Wunde zu desinfizieren?« Mit einem Nicken deutete er auf die rote Abschürfung auf ihrer Schulter. Stammte sie vom Rutschen über einen Teppich? Oder von einem Steinboden? Schon der Gedanke an die möglichen Ursachen brachte sein Blut in Wallung.
»Hast du nach meinem letzten Besuch dein Apothekerschränkchen überhaupt wieder aufgefüllt?« Sie bedachte sein Spiegelbild mit einem schiefen Lächeln. »Wenn ich noch öfter so zu dir komme, musst du dir wohl ein richtiges Medikamentenlager anschaffen.«
Er lehnte sich an den Türrahmen und sah ihr zu, wie sie mit dem feuchten T-Shirt ihre abgeschürfte Schulter abtupfte. Auch da hatte sie einen blauen Fleck, der von einem festen Griff stammen musste. Einem sehr festen.
»Du solltest etwas Eis drauf tun.« Er nahm den Eisbeutel und legte eine Hand von vorne auf ihre Schulter, ehe er das Eis mit der anderen von hinten sanft auf
den blauen Fleck drückte. Sie schnappte nach Luft und schloss die Augen.
»Soll ich dich zum Arzt fahren, damit sich das mal jemand ansieht?«
»Nein.« Wieder trat ein dünnes Lächeln auf ihr Gesicht. »Es ist nur ein bisschen kalt.«
Als sich ihre Blicke trafen, schien sich zwischen ihnen ein Funke zu entzünden. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass das Wasser lief, dass ihr zusammengeknülltes T-Shirt auf dem Rand des Waschbeckens
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