Wo niemand dich sieht
Wahrheit zu sagen, ich war einfach noch nicht so weit, ihn mir vorzuknöpfen. Das Letzte, was ich wollte, war, ihn so zu verängstigen, dass er auch noch untertauchte, wie Jilly.
Ich packte meine Sachen, hinterließ ihm einen Zettel, auf dem stand, wo ich war, aber keine Erklärung.
Dann fuhren wir noch bei einem kleinen Supermarkt namens The Cove vorbei und kauften ein paar Sachen ein. Laura blieb beide Male im Auto, mit meiner SIG-Sauer auf dem Schoß.
Es war schon dunkel, als wir endlich bei dem Häuschen eintrafen, das keine fünfzehn Meter vom Rand der Klippen entfernt stand. Sicher hatte man von hier eine atemberaubende Aussicht auf die Küste von Oregon. Aber nicht heute Abend. Schwerer, eiskalter Regen deckte alles zu, selbst das Meer sah aus wie ein schwarzes, flaches Brett. Es herrschte überhaupt kein Wind, was komisch war. Der Regen fiel einfach senkrecht nach unten und klatschte auf den Boden wie eine Ohrfeige. Es waren nur etwa ein halbes Dutzend Fichten zu sehen, die die öde Landschaft ein wenig auflockerten.
Ich schloss auf, sah mich kurz im Innern um und winkte Laura dann herein.
15
Um sieben Uhr abends aßen wir dann vor dem Kamin Hühnernudelsuppe und als Nachspeise Muffins mit jeder Menge zerlaufener Butter übergossen. Grubster lag schnarchend zu Lauras Füßen, was kein Wunder war, denn er hatte zwei Riesendosen Katzenfutter verschlungen. Nur gelegentlich zuckte seine Schwanzspitze. Nolan war auch bereits in seinem abgehängten Käfig zur Ruhe gebracht worden. »Das war einfach köstlich«, ächzte Laura gähnend und stützte sich zufrieden auf ihre Arme zurück.
»Ja, stimmt«, pflichtete ich ihr bei und konnte selbst nur mühsam ein Gähnen unterdrücken. »War ein ziemlich langer Tag.«
Sie öffnete mühsam ein Auge. »Du willst wohl den ersten Preis in Untertreibung gewinnen, was?«
Auf diese Bemerkung fiel mir in meinem gegenwärtigen Zustand beim besten Willen nichts mehr ein, also brummelte ich nur: »Bereit für die Federn?«
Laura blickte zur Haustür. Ich bemerkte ihre Anspannung. »Nein«, versuchte sie sich nervös zu beruhigen, »in Edgerton trauen sie sich sicher nicht.«
»Glaube ich auch. Morgen ist Charlie Ducks Beerdigung. Ich werde dich allen vorstellen und Tarcher ein wenig auf die Pelle rücken. Was Paul angeht, den möchte ich vorläufig mit Samthandschuhen anfassen. Will nicht, dass er womöglich ebenfalls ausreißt.«
»Ich schwör dir, der gibt nie im Leben etwas zu. Er will auf jeden Fall Jilly schützen.«
Sie hatte wahrscheinlich Recht. Ich stellte mir vor, wie es wäre, ihm die Finger um den Hals zu legen, ihn hochzuheben und zu würgen wie einen Truthahn.
»Wenn Savich und Sherlock hier sind, können wir ja besprechen, wie wir am klügsten vorgehen. Sie wissen, dass Eile Not tut.«
»Deine Freunde sind aber ganz schön flexibel.«
»Ja. Arbeiten beide in derselben Abteilung, und er ist der Leiter. Savichs Boss, Jimmy Maitland, lässt ihm normalerweise so viel Freiraum, wie er nur braucht. Außerdem kommen sie als meine Freunde, nicht in offizieller Funktion. Sherlock und Savich sind erstklassige Agenten und sehr gute Freunde von mir. Kann sein, dass sie Dinge kombinieren, die uns, die wir ja bis zum Hals in dieser Suppe stecken, bisher entgangen sind. Die haben sicher ein paar großartige Einfälle, wirst sehen.«
»Ich wünschte, ich würde so jemanden in der DEA kennen.« Sie legte den Finger auf meine Lippen. »Nein, zieh bloß nicht wieder über meinen Verein her.«
»Würde mir nicht im Traum einfallen, Laura. Also, ich werde jetzt eine Stuhllehne unter den Türknauf klemmen und meine SIG direkt aufs Nachtkästchen legen. Die Vorhänge sind bereits zugezogen, und alles ist hübsch verriegelt. Wird schon gut gehen.«
»Ja, mehr kann man wohl nicht machen. Du liebe Güte, es ist erst halb neun. Mir kommt’s vor, als wär’s mindestens schon Mitternacht, so müde bin ich.«
»Geh du ruhig als Erste ins Bad. Ich will mich noch mal draußen umsehen.«
»Sei vorsichtig, Mac.« Sie berührte sanft mein Gesicht. »Im Ernst, bitte sei vorsichtig. Du bist mir in der kurzen Zeit ziemlich wichtig geworden.«
Ich hätte sie küssen können und nie mehr aufhören, deshalb schaute ich, dass ich so schnell wie möglich rauskam. Der Regen legte gerade eine Pause ein. Dicke, schwere, grauschwarze Wolken hingen tief über dem tintenschwarzen Meer. Ein riesiger Vollmond schim-
merte immer wieder zwischen ihren grotesken Formen hervor.
Eine Nacht wie aus
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