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Wo niemand dich sieht

Titel: Wo niemand dich sieht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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runden Glasglocke, die wiederum auf einer handgeschnitzten, gut anderthalb Meter hohen Rosenholzpyramide balancierte. Wie die Rauchglasglocke auf der Pyramide stehen blieb, konnte ich mir nicht erklären.
    Während wir dasaßen und auf den Beginn der Trauerfeier warteten, wies ich die anderen so unauffällig wie möglich auf alle Leute hin, die ich kannte.
    Paul kam auch, aber er setzte sich nicht zu mir, ja er ignorierte mich und Laura ganz offensichtlich. Er sah müde aus, sein Gesicht war grau, und tiefe dunkle Schatten lagen unter seinen Augen. Mehr als das, er sah regelrecht verängstigt aus.
    Ich blickte mich um und sah, dass jede Reihe bis auf den letzten Platz besetzt war. Es mussten mindestens hundert Leute sein, wobei gut zwei Dutzend hinten und an den Wänden standen. Alle hatten sich für heute Nachmittag freigenommen und waren hierher gekommen. Auf einmal wurde es mucksmäuschenstill.
    Alyssum Tarcher, in einem tadellosen schwarzen Anzug, der dezent den britischen Schneider verriet, stolzierte zur Kanzel, die eigentlich keine richtige Kanzel war, sondern nur ein langes, dickes Mahagonibrett, das auf zwei dicken Marmorsäulen ruhte. Die ganze Inneneinrichtung war eine Mixtur von Stilen und Materialien, eine neuamerikanische Schöpfung aus Synagoge und Barockkirche.
    Alyssum Tarcher räusperte sich und hob das Löwenhaupt. Durch die hohen Fenster in seinem Rücken flutete das Sonnenlicht und tauchte ihn in einen feierlichen Schein. Kein Luftzug regte sich. Kein Laut war zu hören.
    Er nickte beinahe unmerklich. Dudelsackmusik ertönte, eine leise, herzzerreißend schöne Melodie. Niemand schien überrascht zu sein, offenbar war das hier so Brauch. Die Dudelsäcke wurden allmählich leiser, bis sie in einem zarten Echo verklangen.
    »Charles Edward Duck«, hub Alyssum Tarcher mit dunkler, volltönender Stimme an, »war ein Mann, der ein erfülltes, bewegtes Leben lebte.«
    Ich schaltete ab und studierte stattdessen Pauls Profil. Was ging hier vor?
    »Er war Police Detective in Chicago, bevor er vor sechzehn Jahren nach Edgerton kam, um hier mit seinen alten Eltern zu leben, die lange schon verstorben sind. Wir werden ihn vermissen. Er war einer von uns.«
    Erneut ertönte eine traurige Dudelsackmelodie, dann herrschte Stille. Alyssum Tarcher, der Patriarch von Edgerton, schritt gemessen an seinen Platz in der ersten Reihe und setzte sich.
    Als Nächste erhob sich Elaine Tarcher. Sie sah schlank und zierlich aus, und ihre schlichte, aber sündteure Kleidung verriet die Verhältnisse, in denen sie lebte. Sie trug ein elegantes, schwarzes Kostüm, dazu eine einfache, aber wirkungsvolle Perlenkette. Ihre Stimme klang gefühlvoll. »Ich habe Charlie zum ersten Mal auf unserer jährlichen Silvesterparty Mitte der Achtzigerjahre getroffen. Diese Party fand damals noch im Edwardian statt. Charlie spielte für uns alle Gitarre. Lebewohl, Charlie.«
    Daraufhin folgte ein Dutzend anderer Bewohner von Edgerton, deren Erster die anglikanische Kirche repräsentierte. Es war Rob Morrison. Er sprach kurz über Charlies friedfertige Natur, seine Toleranz, seine Unvoreingenommenheit anderen gegenüber.
    Miss Geraldine, die Vorsitzende der Ortsliga und Bürgermeisterin von Edgerton, repräsentierte die jüdische Religion. Sie sprach darüber, dass Charlie nie aggressiv geworden wäre, immer sanftmütig gewesen sei.
    Es schien, als hätte jeder Charlie Duck anders gesehen.
    Die letzte Sprecherin war Mütterchen Marcos, die dreiundneunzigjährige alte Dame, der die Union-76-Tank-stelle gehörte. Sie war klein und verhutzelt, und durch ihr dünnes weißes Haar konnte man ihre rosa Kopfhaut durchschimmern sehen. »Ich gehöre keiner Religion an«, sagte sie mit einer überraschend kräftigen Stimme. »Nun ja, man könnte sagen, ich repräsentiere das Alter und den Tod. Ich fühle mich älter als die Felsen unten an der Küste von Edgerton.« Die alte Lady grinste uns alle mit einer Reihe schneeweißer, falscher Zähne an. »Und ich bin stolz darauf. Ich kannte Charlie Duck besser als ihr alle. Er war gerissen, der Charlie. Er wusste über alles etwas. Es gefiel ihm, den Dingen auf den Grund zu gehen. Wenn er was nicht verstand, dann blieb er dran, bis er seine Antworten hatte. Und weil er ein Bulle aus Chicago war, hatte er keine hohe Meinung von den Menschen. Er war nicht blind, wenn es um Menschen ging.«
    Ich fand, dass Mütterchen Marcos Charlie von allen Sprechern am besten getroffen hatte.
    Alyssum Tarcher schritt zur

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