Wo niemand dich sieht
Um ehrlich zu sein, ich bin mir nicht sicher, ob überhaupt was dabei rauskommt. Du weißt ja, wie schwierig es ist, heutzutage ein Erfolg versprechendes Medikament zu entwickeln. Astronomische Kosten und eine unglaubliche Zahl an Arbeitsstunden stecken hinter jeder Neuentwicklung. Nicht zu vergessen hoch spezialisierte Computerprogramme. Und dann ist da natürlich auch noch das Gesundheitsamt mit seinen zahllosen Auflagen.«
Er hielt einen Moment inne und zupfte sich einen Faden von seiner Tweedjacke. »Ich verfolgte eine bestimmte Richtung, aber denen bei VioTech wurde das Ganze zu teuer, und sie entschieden, dass ich die Forschungen einstellen soll. Der Ertrag wäre zu gering, selbst wenn das
Medikament auf den Markt käme, also haben sie mir den Stecker rausgezogen. Wollten, dass Jilly und ich in die AIDS-Forschung einsteigen, aber das interessierte uns einfach nicht. Als Alyssum Tarcher uns dann anbot, unser Projekt zu finanzieren, haben wir die Chance natürlich ergriffen.«
»Was genau bewirkt denn dieses >Medikament<, Paul?«, erkundigte ich mich.
»Wie gesagt, es ist noch nicht fertig. Es soll Einfluss auf das Erinnerungsvermögen nehmen, das ist alles...«
»Ich verstehe nicht ganz, was Sie damit meinen«, unterbrach Savich. »Wir wissen so wenig darüber, wie das Gedächtnis funktioniert. Was bewirkt diese Droge, was macht sie mit dem Gedächtnis?«
»Sie bewirkt, dass physische Reaktionen auf schmerzhafte Erinnerungen ausbleiben, wenn diese an die Oberfläche treten. Sehen Sie, diese Droge scheint bei akuten Stresssymptomen aktiv zu werden - erhöhter Adrenalinspiegel, intensives Herzklopfen, Pupillenerweiterung - so was eben. Der Zweck des künftigen Medikaments ist es, die Macht der Erinnerung zu brechen, indem die physischen Stresssymptome reduziert beziehungsweise ausgelöscht und durch ein Gefühl des Wohlbefindens ersetzt werden.
Die Vorteile wären enorm, vor allem bei Patienten, die unter einem schlimmen Trauma leiden, Soldaten beispielsweise oder Personen, die in der Kindheit missbraucht oder misshandelt wurden. Sobald der Erinnerung einmal ihr emotionales Gepäck genommen wird, verliert sich auch die psychologische Macht.«
Ich lehnte mich auf dem Sofa vor, die Hände zwischen den Knien. Endlich redete er mit uns. Ich musste dafür sorgen, dass er nicht aufhörte. »Diese physischen Reaktionen, die du beschreibst, Paul, werden nicht nur durch schmerzhafte Erinnerungen ausgelöst. Das passiert auch unter anderen Umständen, bei Angst beispielsweise, oder Anspannung.«
»Stimmt, aber siehst du, dieses Medikament soll kontrolliert verabreicht werden, in einer Klinik. Die Erinnerungen werden wiederholt geweckt, das Medikament gezielt verabreicht.«
»Klingt unglaublich«, sagte Savich langsam. »Aber wie ist es Ihnen möglich, Ihre Forschungen ganz allein fortzusetzen, zu Hause, in einem kleinen Behelfslabor?«
»Ich stand kurz vor dem Durchbruch, als ich VioTech verließ, auch wenn die Firmenchefs das bestreiten würden. Es ging eigentlich nur noch um die richtige Länge einiger sekundärer Molekülketten.«
»Wie ist es mit einer möglichen Abhängigkeit von dieser Wunderdroge?«
»O nein.« Paul schüttelte energisch den Kopf. »Ganz gewiss nicht. Diese Droge macht nicht süchtig.«
»Wie steht es mit einem Einsatz durch das Militär?«, fragte Savich. »Immerhin, wenn man dadurch die physischen Auswirkungen von Stress verhindert, dann könnte man jedem Soldaten einen Schuss verpassen und hat eine Armee von Helden.«
»Nein, mit dem Militär will ich nichts zu tun haben. Auf gar keinen Fall.«
Paul sah unglaublich müde aus. Seine Stimme klang total emotionslos, als ob ihm alles egal wäre.
»Als ich dich zuvor darauf ansprach, hast du das Ganze als >Pille der ewigen Jugend< oder so abtun wollen. Aber das hier ist was völlig anderes.«
»Spielt keine Rolle. Nichts davon hat etwas mit Jillys Verschwinden zu tun. Es hat mit gar nichts zu tun. Geht jetzt, Mac. Ich will nicht mehr mit euch reden. Bitte geht.«
»Ach ja?«, sagte ich mit hochgezogener Braue. »Du willst also bloß über unschuldige Frauen herfallen, die zufällig in dein Haus spazieren?«
»Maggie hat dir was ganz Falsches erzählt. Sie hat mich angemacht, und als ich beschloss, sie beim Wort zu nehmen, wurde sie biestig. Ein Mann ist eben ab und zu geil, das weißt du doch. Maggie ist ein falsches Luder. Sie reizt einen, und dann macht sie einen Rückzieher.«
»Sag mir, wo Jilly ist, Paul.«
»Ich weiß es
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