Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)

Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)

Titel: Wo Schneeflocken glitzern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathryn Constable
Vom Netzwerk:
und knallte die Tür zu.
    Der Zug ruckte an und setzte sich in Bewegung.

»Schnell, schnell!«, drängte Dr. Starowa und quetschte sich an ihnen vorbei. »Wir müssen leeren Wagen finden.«
    Ein prickelndes Gefühl – halb Angst, halb Aufregung – stieg in Sophie auf. Das hier war nicht der pompöse Schlafwagen, den sie sich erträumt hatte, aber egal, Hauptsache, sie fuhr nach St. Petersburg. Und es machte auch nichts, dass sie keine Zeit hatte, Schokoladenkatzen unter ihr Kopfkissen zu legen, wie auf ihrer Fantasiereise nach Russland. Es war ja auch keine weite Fahrt. Bald würden sie bei Dr. Starowa zu Hause sitzen, russisches Essen genießen und die restliche Starowa-Familie kennenlernen, darunter auch Natalja, das Mathe-Wunderkind.
    »Pass doch auf!«, fauchte Marianne und drehte sich zu Delphine um, als sie ihre Koffer durch den langen Gang bugsierten. »Ich brauch meine Beine noch, Menschenskind! Und zwar beide!«
    »Zu langsam!«, rief Dr. Starowa über die Schulter zurück und verschwand in einem Abteil vor ihnen.
    Die Mädchen kämpften sich weiter vorwärts. Einmal mussten sie anhalten, um einen anderen Fahrgast vorbeizulassen, aber schließlich holten sie Dr. Starowa ein und stellten ihr Gepäck ab. Dann blickten sie sich in ihrem Abteil um, das ziemlich eng war, mit vier schmalen Sitzbänken und einem kleinen Klapptisch dazwischen.
    Dr. Starowa zog den Vorhing hinter ihnen zu. »Wir gut!«, verkündete sie.
    Delphine holte ihr Handy aus der Tasche. »Haben Sie was dagegen, wenn ich Ihren Mantel fotografiere? Meine Mutter ist Moderedakteurin in Paris und sie will immer, dass ich ihr Fotos schicke, wenn mir was besonders Tolles ins Auge fällt. Ist das Vintage?«
    Dr. Starowa zog ihren Mantel aus und faltete ihn sorgfältig zusammen. »Keine Fotos. Habe ich schon vor viele Jahre damit aufgehört.« Dann nahm sie Delphines Handy und schaltete es aus.
    »Moment mal, das dürfen Sie nicht!«, protestierte Delphine.
    Dr. Starowa zuckte die Schultern und gab ihr das Telefon zurück. »Aber wenn ich dir erlaube Foto zu machen, muss ich alle Foto machen lassen!« Sorgfältig strich sie ihren bordeauxroten Wollrock über den Hüften glatt und setzte sich.
    Der Zug nahm Fahrt auf. Dr. Starowa griff in ihre Handtasche und holte eine strassbesetzte Puderdose hervor, ein altmodisches Ding, das in dem kahlen Zugwagen trotzdem irgendwie exotisch und kostbar wirkte. Sie klappte die Puderdose auf, ließ ihre Zunge über die Zähne gleiten, wölbte ihre Augenbrauen, schnippte eine Locke aus ihrer Stirn und spitzte die Lippen. »Alle paar Stunde Männer wollen Foto … Muss aufhören, das!« Energisch klappte sie die Puderdose wieder zu. »So!«, sagte sie. »Ist euer erstes Mal in Russland?«
    Die Mädchen nickten.
    » Woj gawarit po ruski? «
    Die Mädchen starrten sie an.
    »Was haben Sie gesagt?«, fragte Sophie. Das letzte Wort hatte vermutlich etwas mit ›Russisch‹ zu tun, aber sie hielt lieber den Mund, um sich nicht zu blamieren.
    »Das komisch«, lachte die Frau. Ein kurzes, scharfes Lachen, wie ein Peitschenhieb. »Ihr versteht kein Russisch?«
    Marianne machte ein betroffenes Gesicht. »Ich habe das Alphabet gelernt«, verteidigte sie sich.
    »Und wir können es kaum erwarten, Russisch zu lernen«, fügte Sophie schnell hinzu.
    »Ihr beiden vielleicht«, murrte Delphine frustriert.
    »Ja, natürlich!« Dr. Starowa lächelte immer noch, aber in ihre Augen trat ein misstrauischer Ausdruck. Schließlich wandte sie sich ab und starrte aus dem Fenster in den Schneesturm und in die pechschwarze Nacht hinaus. Der Zug ratterte jetzt in vollem Tempo dahin. Nach einer Weile drehte Dr. Starowa sich wieder den Mädchen zu.
    »Gut, Mädchen, ich glaube, ihr müsst erst Montag in Schule gehen und deshalb bleiben wir Wochenende bei Freunden.« Dr. Starowa hatte die seltsame Angewohnheit, alles so zu betonen, als sei es unglaublich wichtig und die Mädchen müssten ihr vor Dankbarkeit um den Hals fallen. »Sie haben Datscha . Wisst ihr, was Datscha ist?« Mit hochgezogenen Augenbrauen erklärte sie: »Es ist … kleines Haus … auf Land … für Ferien und Wochenende. Im Norden von Stadt.« Dr. Starowa redete schnell, aber klar und deutlich, als ob sie einen Text für ein Theaterstück probte.
    Sophie wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Miss Ellis hatte ihnen gesagt, dass sie in einem Vorort von St. Petersburg namens Stari Belustrow wohnen würden, und das war eindeutig nicht auf dem Land.

Weitere Kostenlose Bücher