Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
wir ankommen. Die Prinzessin erwartet euch voller Ungeduld. Und ihr wollt doch sicher einen guten Eindruck machen.«
Damit verbeugte er sich und ging.
»Na, was hab ich euch ungepflegten Engländerinnen gesagt?«, triumphierte Delphine. »Irgendwann kommt der Tag, an dem ihr einen guten Eindruck machen wollt!«
»Also wenigstens hab ich nicht den Pulli mit den Löchern dabei«, sagte Sophie, aber in ihrem Kopf drehte sich alles, so viele Bilder hatten Ivans Worte in ihr heraufbeschworen. Eine Prinzessin? Ein Winterpalast? Und alles so einsam und abgelegen, dass keine Menschenseele davon wusste?
Seit sie denken konnte, sehnte sie sich nach Abenteuern – und jetzt war ihr Wunsch in Erfüllung gegangen!
Der Zug rollte weiter und die Räder klapperten bei jeder Bahnschwelle wie Kastagnetten. Das gleichmäßige Rattern, die wohlige Wärme im Zugwagen wirkten so einschläfernd und beruhigend, dass Sophie und ihre Freundinnen sich bald die Zähne putzten und die dicken Flanellnachthemden anzogen, die Ivan für sie bereitgelegt hatte. Dann streckten sie sich auf den Polsterbänken aus und kuschelten sich in die Pelzdecken.
»Wahnsinn, dass wir in einem Palast eingeladen sind«, sagte Marianne und legte ihre Brille auf ihren Koffer. »Und dass wir eine richtige, echte Prinzessin kennenlernen!«
»Ich hab’s euch doch gleich gesagt«, erwiderte Delphine gähnend. »Wir haben uns ganz umsonst aufgeregt. Ich meine, was soll auf einer Schulfahrt schon schiefgehen?«
Sophie vergrub ihre Finger in der Felldecke. Der Pelz knisterte wie Pergament – er war bestimmt uralt und verstaubt. Zuckermäuse unter ihrem Kissen gab es auch nicht, auch keine Schokoladenkatzen und keine Pistole, mit der sie Bären und Wölfe vertreiben konnte. Aber egal – sie war hier, in Russland, in einem Zug, der sie zum Volkonski-Winterpalast brachte, und das war kein flüchtiger Tagtraum, wie in London, sondern Wirklichkeit!
Einen so eleganten Zugwagen wie den hier hätte sie sich gar nicht ausdenken können. Es überstieg ihre schönsten Träume, und umso schmerzlicher wurde ihr bewusst, wie kahl und hässlich ihr Zimmer in Rosemarys Wohnung war. Rosemary war nie auf die Idee gekommen, es ein bisschen gemütlicher zu gestalten. Wahrscheinlich hoffte sie, dass Sophie sowieso nicht mehr lange bleiben würde und sie ihr Gästezimmer bald wieder für sich haben konnte. Kein Wunder, dass Sophie sich immer weit wegträumte. Aber was nützten ihr die ganzen schönen Fantasiewelten? Vielleicht sollte sie sich endlich damit abfinden, dass sie nichts Besonderes war – nur die unscheinbare Sophie Smith, die keine Eltern und kein Geld hatte und ganz allein in der Welt stand.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Delphine sich aufsetzte und mit geübten Bewegungen ihr Haar flocht. Delphine passte gut in diesen Zugwagen, nicht wie sie selbst, die bestimmt lächerlich wirkte, wie eine Hochstaplerin. Marianne war wenigstens intelligent. Aber sie, Sophie, war gar nichts – nur überall fehl am Platz. Sie hatte keine Talente, war nichts Besonderes, auch wenn sie es sich noch so sehr wünschte.
Seufzend richtete sie sich auf und schob den Vorhang zur Seite, um hinauszuspähen. Der Mond hing tief am Himmel, funkelte wie ein riesiger Diamantknopf. Hin und wieder öffnete sich der Wald – der manchmal so nahe rückte, dass die tief verschneiten Äste wie Finger über die Scheiben kratzten – und gab eine mondbeschienene Lichtung frei. Holzhäuser mit niedrigen, geschnitzten Dächern hinter verfallenen Zäunen sausten an Sophie vorüber, alles in glitzernden Schnee gehüllt. Dann schloss sich der Baumvorhang wieder.
Sophie wusste nicht, wie lange sie schon so dagesessen und auf die russische Landschaft hinausgeschaut hatte, als plötzlich jemand in der Tür stand.
»Hüte dich vor dem Mond, kleine Sophie«, wisperte Ivan Ivanovitsch beschwörend. »Er verhext dich sonst. Und eh du dich’s versiehst, bist du nicht mehr fähig im Tag zu leben, sondern nur noch in der Welt der Träume.«
Ein köstlicher Duft nach warmem Brot und heißer Schokolade weckte Sophie. Der Zug pfiff laut, und sie spürte, wie der Wagen langsamer wurde.
Delphine hatte ihren Kopf nach unten gebeugt und bürstete energisch ihr Haar. Dann riss sie den Kopf wieder hoch und die Haare fielen ihr über die Schultern. »Wenn wir der Prinzessin vorgestellt werden, darfst du sie nicht anstarren und nicht mit ihr reden, bevor sie dich anspricht.«
»Guten Morgen, ihr beiden«, sagte
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