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Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)

Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)

Titel: Wo Schneeflocken glitzern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathryn Constable
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Wolf.«
    Durch die Dampfwolke hindurch erspähte Sophie einen silbrig schimmernden Tierkopf an der Seite des Wagens. Das Maul war aufgerissen, die Zähne gebleckt, als würden die Kiefer im nächsten Moment zuschnappen, um eine frisch geschlagene Beute zu zerfleischen. Ein Wolf.
    »Mein Gepäck …«, jammerte Delphine.
    »Ich werde es ausgraben!«, versprach der Mann.
    Seine offene, ruhige Art flößte ihr Vertrauen ein und sie ging zu ihm hinüber. »Na los, kommt schon!«, rief sie den anderen über die Schulter zu, während sie die Hand des Fremden nahm und die Stufen hinaufstieg.
    »Er scheint uns ja zu kennen, aber wir ihn nicht!«, wisperte Marianne. »Wer kann das bloß sein?«
    »Ich weiß nicht«, murmelte Sophie.
    »Ich meine, wir können doch nicht einfach mit ihm gehen …«
    »Hierbleiben können wir auch nicht.«
    »Ja, aber wir sollten erst einsteigen, wenn er uns gesagt hat, wer er ist.«
    »Bitte nicht trödeln«, drängte der Mann und sein Blick wurde noch besorgter, als er zum Himmel aufschaute. »Der Sturm bricht bald wieder los.«
    Was blieb ihnen da anderes übrig, als die Zugtreppe hinaufzusteigen und sich in den altmodischen Wagen hineinbugsieren zu lassen? Sophie sog entzückt die Luft ein, als sie sich umblickte. Ja, das war der Zug ihrer Träume, den sie sich ausgemalt hatte, wenn sie Rosemarys Nerzjacke getragen und in dem eiskalten Gästezimmer geschlafen hatte! Ein Zug, der direkt ins Abenteuer fuhr.
    Ihr Blick wanderte über den schönen Kronleuchter an der Decke, über die Sitze mit den silbergrauen Knopfpolstern, über die Holzschränkchen darüber und die schweren, spitzengesäumten Vorhänge an den Fenstern. Obwohl alles wunderschön aussah, waren die Stoffe alt und zerschlissen wie Museumsstücke.
    Marianne stand unsicher am Fenster und schaute zu, wie der Mann das Gepäck aus dem Schnee grub. Er warf die Koffer in die Führerkabine der Lok, so leicht, als seien es leere Pappkartons, knallte die Wagentür zu und ging vorne herum zur Lok.
    »Wir wissen immer noch nicht, wo wir hinfahren«, murmelte Marianne.
    »Zurück nach St. Petersburg«, sagte Delphine. »Du hast es doch gehört!«
    Marianne schüttelte den Kopf. »Er hat nichts von St. Petersburg gesagt.«
    »Und der Zug ist aus der anderen Richtung gekommen«, fügte Sophie hinzu.
    Dampf wogte an den Fenstern vorbei, die Eisenräder quietschten wieder auf den Gleisen und der Zug ruckte an. Der Kronleuchter klirrte und versprühte funkelnde Lichter über ihnen.
    »Er ist hergekommen, um uns abzuholen«, sagte Delphine energisch. »Er kennt unsere Namen. Wo soll er uns denn sonst hinbringen?«
    Der Zug nahm Fahrt auf und glitt in den tief verschneiten Wald hinein.
    »Ich habe mein Ticket verloren«, sagte Marianne und plumpste auf eine der Polsterbänke. »Hoffentlich fragt er nicht danach.«
    Ehe die anderen etwas antworten konnten, tauchte der Mann wieder auf. Hier, in diesem eleganten Zugwagen, wirkte er noch größer und wuchtiger. Fröhlich rieb er sich die Hände und sagte: »Es ist sehr kalt im Wald. Ich werde euch warm einpacken müssen.« Er drehte sich um und nahm drei helle Felldecken aus einem Holzschrank.
    Dann bedeutete er Sophie mit einer Handbewegung, dass sie sich hinsetzen sollte. »Du wirst müde sein nach der langen Reise«, sagte er und steckte den Pelz unter ihren Knien fest, dann wandte er seine Aufmerksamkeit den beiden anderen Mädchen zu. Marianne kaute an ihren Nägeln und schaute aus dem Fenster, als würde sie am liebsten wieder aussteigen. Der Mann schien nichts von ihren Ängsten zu merken. »Ich muss mich jetzt um den Heizkessel in der Lok vorne kümmern«, verkündete er. »Nur einen Moment noch – ich bin gleich wieder da.«
    »Dann sind Sie auch der Lokführer?«, fragte Marianne mit verwirrter Miene.
    »Der Zug fährt praktisch von alleine«, erklärte der Fremde lächelnd. »Und das ist gut so, denn sonst hätte ich keine Zeit, euch ein Mitternachtspicknick und euren ersten echten russischen Tee zu servieren. Ich richte gleich den Samowar her.«
    Wieder rieb er sich die Hände und strahlte die Mädchen an, als hätte er ihnen gerade ein tolles Geschenk gemacht.
    »Miss Ellis hat sich eindeutig geirrt«, wisperte Delphine, sobald der Mann den Wagen verlassen hatte. Sie hörten ihn fröhlich singen und dann das Klirren von Besteck und Geschirr auf einem Tablett.
    »Oder Dr. Starowa hat es ihr nicht richtig erklärt«, sagte Marianne.
    In Sophies Kopf blitzte ein Bild von einer Frau in

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