Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
sich mit einem leisen, samtigen Plopp!. Eine Statue kippte um und krachte auf den Boden. Der Wolf hinkte erschrocken weiter.
Wütend schüttelte der General Sophie ab. »Dummes kleines Wolfsmädchen!«, zischte er. »Du weißt nicht, was du tust. Ein angeschossener Wolf ist noch viel gefährlicher als ein gesunder.«
Dann stieg das Heulen aus den Tiefen des Palastes auf. Die Volkonski-Wölfe! Sophie erstarrte, aber sie begriff, was das vielstimmige Rufen zu bedeuten hatte, und sie lauschte stumm auf die Wölfe, die nicht mehr bereit waren sich als mythische Gestalten abtun zu lassen, als Monster aus einem Ammenmärchen. Ihre Stimmen überlagerten sich, verwoben sich ineinander und trennten sich wieder.
»Sie wissen Bescheid«, rief Sophie. »Die Wölfe wissen, was Sie getan haben!«
»Wir haben dich gerettet!«, zischte die Prinzessin mit funkelnden Augen. »Ohne uns hier wärst du in Stücke gerissen worden!«
Der General stieß Sophie grob von sich weg. »Ivan! Kümmern Sie sich nicht um die jammernden Weiber. Holen Sie mir den Jungen! Dann soll er mal zeigen, ob er ein Mann ist!« Mit einem höhnischen Grinsen um die Mundwinkel wandte er sich zu Sophie um: »Diesmal knallen wir sie alle ab, ohne dass uns das Wolfsmädchen in die Quere kommen kann.«
»Das werden Sie nicht tun!«, schrie Sophie in das triumphierende Gesicht des Generals hinein. »Wagen Sie es ja nicht, die Wölfe anzurühren! Sie dürfen Ihnen nichts tun. Die Wölfe sind hier, um die Prinzessin zu beschützen … vor Ihnen! Sie sind die Hüter des Palastes! Sie dürfen sie nicht töten!«
Der General ignorierte ihren Wutausbruch. »Anna?«, sagte er mit schneidender Stimme zur Prinzessin, die neben ihm stand. »Was fangen wir mit diesem ungebärdigen englischen Mädchen an? Sie ist nutzlos – wir haben keinerlei Verwendung mehr für sie.«
Mit einem vielsagenden Blick drehte er sich um und lief die Treppe hinunter.
»Bitte, Prinzessin – Sie müssen ihn aufhalten!«, schrie Sophie.
»Aber wie denn? Der General jagt nun mal gern«, sagte die Prinzessin und folgte ihm mit den Augen. »Dagegen kann man nichts machen.«
»Aber Sie, Prinzessin! Wie konnten Sie nur auf einen Volkonski-Wolf schießen?« Sophie spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen strömten. »Die Wölfe sind doch hier, um Sie zu beschützen!«
»Aber Sophie, das musst du doch verstehen«, seufzte die Prinzessin. »Ich kann diese Kreatur nicht frei im Palast herumlaufen lassen!« Sie lachte gezwungen. »Es war nur zu deiner Sicherheit.«
»Wieso? Was wollen Sie damit sagen?«, fragte Sophie und plötzlich drehte sich der ganze Raum um sie. »Er wollte mir doch nichts tun!«
Die Prinzessin schüttelte langsam den Kopf. »Ich wollte, es wäre so«, wisperte sie. »Aber ich habe gesehen, wie Wölfe töten. Ich weiß, wann sie im Blutrausch sind!« Beschwörend beugte sie sich zu Sophie vor. »Und glaub nur ja nicht, dass es schnell geht. Ein Biss und das war’s? Nicht bei einem Wolf. Oh, nein, der stürzt sich auf dich, beißt dir die Kehle durch, und dann sitzt er da und schaut zu, wie du verblutest. Bis er irgendwann herkommt und die Blutlache aufleckt. Na, wie gefällt dir das?«
Sophie starrte in das schöne Gesicht der Prinzessin, auf ihre Lippen, die so rot wie Wolfsblut waren.
»Wenn ich nur die Diamanten finden würde, Sophie«, seufzte die Prinzessin, legte eine Hand an Sophies Gesicht und strich ihr eine Haarsträhne aus den Augen. »Dann könnte ich hier in Frieden leben und müsste mir keine Sorgen um die Zukunft mehr machen. Und wir beide könnten Freunde sein.« Mit einem Blick auf das Wolfsblut am Boden fügte sie hinzu: »Es tut mir leid wegen vorhin. Der General macht mich noch ganz verrückt mit seinen ewigen Geldforderungen. Was ich brauche, ist eine Freundin.« Sie hielt inne und lächelte Sophie an, ein Lächeln, das ihr Gesicht umso trauriger erscheinen ließ.
»Eine einzige gute Freundin«, wisperte sie. »Und ich hatte gehofft, dass du das sein würdest …«
»Dann schicken Sie ihn fort!«, verlangte Sophie. »Sagen Sie ihm, dass er Sie in Ruhe lassen soll.«
»Nur, wenn du hierbleibst.« Die Prinzessin ging bereits zur Treppe. »Und mir hilfst.«
Sophie stand da und musste hilflos mit ansehen, wie die Prinzessin dem General hinterherlief. Verzweifelt lehnte sie sich an die Wand. Wie in aller Welt sollte sie dieser Frau helfen?
Der Weiße Speisesaal war leer. Das Essen des Generals, das kaum angerührt war, stand noch auf dem
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