Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
die Tränen zurückzudrängen, die ihr hinter den Lidern brannten. »Wir finden schon noch irgendwas, das wir dem General geben können. Damit er sie in Ruhe lässt.«
» Njet .« Die Prinzessin verschränkte die Arme vor der Brust, als sei ihr plötzlich kalt. »Niemand kann mir jetzt noch helfen. Falls du glaubst, dass der General ein schlechter Mensch ist, wirst du dich wundern. Gegen den Kerl, den er mir jetzt auf den Hals hetzen wird, ist er geradezu ein Engel.« Zitternd fügte sie hinzu: »Ich könnte natürlich aus dem Palast fliehen, sicher. Aber sie werden mich finden. Wo immer ich hingehe, diese Männer werden mich finden. Glaub mir, Sophie.« Mit brüchiger Stimme fügte sie hinzu: »Ich bin erledigt.«
Die Prinzessin hatte Sophie ganz vergessen und redete nur noch mit sich selber.
»Nein, warten Sie«, sagte Sophie. »Wir müssen uns was einfallen lassen.« Sie konnte die Prinzessin doch nicht einfach im Palast zurücklassen, ohne ihr wenigstens ein bisschen Mut zu machen. »Die Prinzessin … die andere Prinzessin … Also, sie hätte die Diamanten doch sicher nicht vor Ihnen versteckt? Ich meine, Sie sind doch auch eine Volkonskaja, also hat sie den Schmuck garantiert irgendwohin getan, wo Sie ihn vermuten würden. Sie muss doch irgendwelche Hinweise hinterlassen haben?«
Anna Fjodorovna hob den Kopf. »Und weiter?«, wisperte sie.
»Na ja, vielleicht haben Sie irgendwas gefunden – oder gehört –, das Sie zu dem Versteck führen könnte? Vielleicht haben Ihre Eltern Ihnen etwas erzählt, als Sie noch klein waren, und Sie haben es damals nicht verstanden?«
»Sie haben mir nichts erzählt – nichts«, stieß die Prinzessin hervor und bei dem letzten Wort versagte ihr die Stimme.
»Wo würde ich eine Diamantkette verstecken, wenn ich nicht wollte, dass sie jemand findet? Wo wäre sie in Sicherheit?«, überlegte Sophie und ging im Saal auf und ab. »Haben Sie Dimitri gefragt? Oder Mascha? Vielleicht wissen die was davon?«
»Hast du die domovoje mit Milch und Biskuits gefüttert?«
»Nein, ich …«
»Die beiden sind nicht deine Freunde. Und wenn sie wüssten, wo die Diamanten versteckt sind, hätten sie sie längst gestohlen!«
»Aber sie wissen doch so viel über den Palast«, beharrte Sophie, auch auf die Gefahr hin, dass sie die Prinzessin noch mehr auf die Palme brachte. »Sie haben mir erzählt, wie Ihre Großmutter, die letzte Volkonski-Prinzessin, ein verletztes Wolfsjunges gesund gepflegt hat.«
»Hab ich dir nicht gesagt, du sollst nicht mit den Dienstboten sprechen?«, rief die Prinzessin. »Sie machen dich nur verrückt mit ihren Lügen und Ammenmärchen.«
»Aber Dimitri ist nett, Prinzessin. Er ist in Ordnung. Er würde Sie nie bestehlen. Er liebt seine Familie und ist stolz darauf, dass er für die Volkonskis arbeitet. Er kümmert sich gern um die Wölfe … und er kennt sogar ein altes Wiegenlied, mit dem er sie besänftigt. Er hat es mir vorgesungen … hat mir den Text übersetzt.«
In Gedanken sah sie sich mit Dimitri hoch oben im Kronleuchter sitzen und auf die Lichtfünkchen hinunterschauen, die das Kristall am Boden versprühte.
»Ich habe keine Zeit für solchen Blödsinn.«
»Ein Lied von Wölfen und Schnee und Tränen am Boden des Ballsaals, die hell im Mondlicht funkeln«, fuhr Sophie fort.
»Du kannst mir nicht helfen.« Die Prinzessin wandte sich unwillig ab.
»Mein Vater hat mir immer dieselbe Melodie vorgesungen, als ich noch klein war – ist das nicht komisch?«, sagte Sophie. »Natürlich kannte ich die Worte nicht … ich meine, wie denn auch?«
»Wie denn auch?«, wiederholte die Prinzessin und drehte sich langsam wieder um.
»Aber die Lichtfünkchen am Boden sind wunderschön«, wisperte Sophie. »Und sie sehen wie Tränen aus, nur …«
Plötzlich dachte sie daran, wie sie ihre Finger in den langen grauen Kristallstrang geschlungen hatte, der stumpfer wirkte als die anderen. Und wie Delphine in ihrem Zimmer im Internat gestanden und sich den Kristallanhänger von ihrem Vater ans Ohr gehalten hatte, das Glasstück, das jetzt um Sophies Hals hing.
Atemlos schaute sie an sich hinunter.
Die Augen der Prinzessin glitzerten, dann schoss ihre Hand in Sophies Ausschnitt und zerrte heftig an der Schnur. Sophie spürte ein scharfes Brennen am Hals.
»Das ist doch nur ein Stück Glas!«, protestierte sie. »Bitte nehmen Sie es mir nicht weg. Mein Vater hat es mir gegeben …« Sie dachte daran, wie er das Glas hochgehalten hatte, um Licht
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