Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
auf. »Na gut, kleines Wolfsmädchen«, sagte er und sprang auf. »Dann komm mal mit!« Er ging zu Sophie, legte seine Hand auf ihre Stuhllehne und kippte den Stuhl nach vorne, so dass ihr nichts anderes übrigblieb, als aufzustehen, wenn sie nicht auf die Nase fallen wollte.
»Grigor!« Die Prinzessin fuhr plötzlich aus ihrer Trance auf. »Lass das!«
»Warum? Wenn sie die Wölfe verteidigen will, muss sie wissen, wie man kämpft, oder nicht?«, lachte der General.
Sophie nahm dunkel Mariannes Gesicht wahr, die Brille, die ihr schief auf der Nase saß. Oder Delphines Haar, das sich halb in ihrem Kragen verfangen hatte, so dass Sophie am liebsten hingegriffen und es herausgezogen hätte. Aber der General stand hinter ihr und brachte ihre Arme in Position.
»Stell dich so hin!«, kommandierte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zuließ. »Und halte die Klinge so!« Er drückte ihr das Messer in die Hand und Sophie starrte auf den Wolfskopf am Griff. Der General ging um sie herum und baute sich vor ihr auf.
»General!« Ivan war vorgetreten, um zu protestieren, und plötzlich überstürzten sich die Ereignisse im Zimmer, ohne dass Sophie noch irgendwie Einfluss darauf nehmen konnte.
»Abtreten, Husar – zurück an Ihren Platz!«, knurrte der General. »Hier gebe ich die Befehle!«
Ivan war Soldat und so gut gedrillt, dass er dem General keinen Widerstand leistete. Gehorsam wich er zurück, aber mit einem Gesicht, als würde er Sophie am liebsten an sich reißen und in Sicherheit bringen.
Sophies Herz hämmerte.
Die Augen des Generals funkelten triumphierend und er bellte: »En garde!«
Sophie hörte Marianne schreien. Irgendwo fiel ein Teller herunter und zerschepperte am Boden. Und dann der Aufschrei: »Grigor!«
Sophie sah das Funkeln in den Augen des Generals, die grimmig zusammengepressten Kiefer. Dann wurde ihr der Arm mit geübtem Polizeigriff hinter dem Rücken verdreht. Ein heftiger Schmerz durchzuckte ihre Schulter, und im nächsten Moment nahm sie das Messer an ihrer Schläfe wahr, nur wenige Millimeter von ihrer Haut entfernt. Jetzt war sie der Wolf, der ins Netz getrieben wurde, ohne die geringste Chance, freizukommen. Sie wollte um sich schlagen, mit Klauen und Zähnen auf den General losgehen und ihm das selbstzufriedene Gesicht zerfetzen. Das war unerträglich! Gleich würde das zweite Netz herunterfallen. Sie wurde einfach überrumpelt, so wie die Wölfe, die der Zar zu seinem Vergnügen gejagt hatte.
Ich hasse diese Männer, schrie sie stumm. Ich hasse alles, wofür sie stehen.
Dann ertönte ein Geräusch, das alles veränderte.
Sophies Herz raste und das Blut pochte ihr in den Ohren, so dass sie kaum noch hören konnte. Das Geräusch begann ganz unten in ihrem Rückgrat, stieg höher und höher hinauf, bis es direkt über ihrem Kopf vibrierte. Ein Geräusch, das alles an sich zog und in sich aufnahm: den Schnee, den Wald, die Wildnis, die Einsamkeit, die Verzweiflung, den Blutrausch, der von einer frisch geschlagenen Beute ausgelöst wurde, den wilden Beschützerinstinkt gegenüber allen, die zum Rudel gehörten. Ein Heulen, das Sophies Innerstes nach außen kehrte, dem sie mit jeder Faser ihres Herzens, ja, ihres ganzen Körpers lauschte, und doch wäre sie am liebsten davor geflüchtet und gerannt und gerannt, bis es aufhörte.
Es war wieder derselbe Wolf. Der alte weiße Wolf aus dem Wald. Und es war, als riefe er ihren Namen.
Eine Warnung. Es klang wie eine Warnung. Sophies Herz hämmerte. Ja, der Wolf war gekommen, um die Prinzessin zu retten. Er beschützte eine Volkonskaja!
»Was war das denn?«, hauchte Marianne und packte Delphine am Arm.
» Volki! «, wisperte die Prinzessin. »Da muss ein Wolf ausgebrochen sein!«
»Ausgebrochen?«, hörte Sophie Delphine fragen. »Von wo denn?«
Ivan rannte zur Tür. »Dimitri!«, brüllte er, und dann folgte ein aufgeregter, verzweifelter Wortschwall auf Russisch.
»Du hast mir Wölfe versprochen, Anna!«, schrie der General und riss seine Pistole aus dem Halfter. »Und bei Gott, die werde ich bekommen!« Eine wilde Freude leuchtete in seinen Augen, eine Ekstase, wie man sie in den Gesichtern von Heiligen und Märtyrern sieht. Rücksichtslos stieß er Ivan beiseite und sie hörten ihn den Flur entlangrennen, auf die breite Marmortreppe zu.
Die Prinzessin stürzte hinter ihm her und wieder zerriss ein Heulen die Stille des Palasts.
»Prinzessin! Warten Sie! So warten Sie doch!«, brüllte Ivan verzweifelt.
Im selben
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