Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
Tisch, und Sophies Stuhl lag auf der Seite, so wie sie ihn zurückgelassen hatte. Aber wo waren Delphine und Marianne?
Sophie rannte zum Kinderzimmer, und als sie die Tür aufstieß, kauerten ihre Freundinnen auf ihrem Bett am Fenster. Mascha schenkte ihnen Tee aus einem Samowar ein.
»Wir haben Schüsse gehört!«, rief Marianne und stürzte zu ihr. »Wir hatten solche Angst!«
»Mascha hat uns hergebracht«, sagte Delphine und lächelte das Mädchen an, das vor Verlegenheit ganz rot wurde. »Sie ist Dimitris Schwester.«
»Dimitri so tapfer!«, sagte Mascha und reichte Sophie ein Glas Tee. »General hat gesagt, er muss Wölfe totschießen!« Sie hielt inne und fügte mit großen Augen hinzu: »Aber Dimitri hat gespuckt auf Stiefel von General.«
»Und der andere Wolf?«, wisperte Sophie. »Der Wolf, der entkommen ist?«
Mascha schüttelte den Kopf und wandte sich ab.
»Was ist denn passiert?«, fragte Marianne, als Sophie sich zu ihnen aufs Bett setzte. »Ehrlich, Sophie, wir haben uns solche Sorgen gemacht! Das war alles so unheimlich.«
Delphine streichelte Sophies Arm. »Ich bin so froh, dass du wieder da bist«, sagte sie. »Wir müssen hier weg, und zwar so schnell wie möglich.« Als sei damit alles entschieden, stürzte Delphine zum Schrank und zerrte hastig Pullis, Jeans und Unterwäsche heraus, als würden sie sonst ihren Zug verpassen. »Na los, packt eure Sachen. Komm schon, Marianne. Und du auch, Sophie! Wir machen uns einfach reisefertig und sagen ihr dann, dass sie uns nach St. Petersburg zurückschicken soll.«
Marianne blinzelte verwirrt zu Delphine auf. »Ich will aber nicht nach St. Petersburg«, sagte sie langsam. »Ich will nach London zurück … Ich will nach Hause!«
Delphine faltete weiter ihre T-Shirts zusammen. »Gut. Wir gehen alle nach Hause. Hauptsache, ihr beeilt euch ein bisschen.«
»Aber …«, protestierte Sophie und schwang ihre Beine auf den Fußboden. Sollte das jetzt das Ende sein? Die Prinzessin war eine Enttäuschung, okay, und sie hatte sie im Stich gelassen. Aber trotzdem – sie schwebte in Lebensgefahr. »Sie hat mich um Hilfe gebeten«, erklärte Sophie den anderen.
»Aber das ist es doch gerade«, seufzte Marianne, die völlig zerknittert aussah, als müsste man sie erst packen und kräftig durchschütteln, um die Falten aus ihr herauszubekommen. »Wir können ihr nicht helfen.«
»Wir können sie doch auch nicht einfach dem General überlassen …«
»Hierbleiben ist zu gefährlich«, warf Delphine mit fester Stimme ein.
Dann mussten sie also flüchten – so wie die letzte Volkonski-Prinzessin …
»Delphine hat Recht«, stimmte Marianne zu, während sie sich hinunterbeugte und ihren Rucksack unter dem Bett hervorzog. »Wir müssen hier weg.«
Die Frage war nur, wie ? Aber daran schienen die beiden keinen Gedanken zu verschwenden. Schweigend packten sie ihre Sachen fertig.
Sophie, die immer noch auf ihrem Bett saß, zog den alten Griffelkasten aus ihrem Rucksack hervor. Sie öffnete ihn und nahm den Diamantring heraus. Ein Geschenk der Volkonski-Prinzessin. Sie würde ihn zurückgeben. Auch wenn der Ring angeblich nicht wertvoll war, konnte die Prinzessin vielleicht einen kleinen Aufschub beim General damit erwirken.
»Wo hast du den denn her?« Delphines Hand schoss vor, und schwupp!, hatte sie den Ring am Finger. »Ist der echt?«
»Lass mich mal sehen!«, verlangte Marianne.
Widerstrebend streifte Delphine den Ring wieder ab und gab ihn ihr. Marianne ging ans Fenster und kratzte mit dem Ring über die Glasscheibe.
»He, was soll das? Was machst du da?«, protestierte Sophie.
»Der Ring ist ja vielleicht ganz hübsch«, verkündete Marianne und gab ihn Sophie zurück. »Aber ein echter Diamant ist das nicht, sonst hätte er das Glas zerschnitten.«
Sophie legte das Schmuckstück behutsam in ihren Griffelkasten zurück. Dass der Ring nicht echt war, wunderte sie nicht wirklich. Und es störte sie auch nicht. Seltsam war nur, dass sie mit einem billigen Glasanhänger hergekommen war, weil er sie an ihren Vater erinnerte, und jetzt einen anderen Glasschmuck nach Hause mitnehmen würde, als Erinnerung an Dimitri, die Wölfe und die Volkonskis.
Delphine, die bereits ihren schicken Tweedmantel um die Schultern gehängt hatte, verkündete: »Und jetzt gehen wir zur Prinzessin.«
Oben an der Treppe hörten sie die Stimme des Generals, die aus der Halle herauftönte. »Annn-aaaa!«
Vorsichtig spähten sie über die Balustrade. Da stand er,
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