Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
Eis gefesselt war.
»Sophie!«, brüllte Dimitri. »Hilf mir!«
Sophie spürte, wie Ivan nach ihrer Schulter griff, um sie festzuhalten, aber sie war schneller als er und seine Hand rutschte ab. Ohne einen Gedanken an die Gefahr, in die sie sich begab, schlitterte sie aufs Eis hinunter und kämpfte verzweifelt um ihr Gleichgewicht. Die Arme vor sich ausgestreckt, taumelte sie auf das Pferd zu. Sie spürte, wie das Eis unter ihren Füßen vom Wasser aufgewölbt wurde, und das unheimliche Knirschen und Mahlen dröhnten ihr in den Ohren.
»Halte Viflijankas Kopf!«, schrie Ivan. »Wir müssen ihn aus Harnisch befreien.«
Ruckartig verlagerte sich das Eis unter Sophie, so dass sie sich wie in einem Zug fühlte, der abrupt zum Stehen kam. Jetzt blieb ihr nur noch wenig Zeit. Das schwarze Wasser leckte an dem weißen Eis und zog den vozok nach unten. Viflijanka schnaubte wild, rollte mit den Augen und schäumte vor Anstrengung, aber er kam nicht frei.
»Er wird ertrinken …« Dimitri arbeitete verbissen an den Lederschnallen.
Sophie griff nach den Zügeln des Pferdes, aber Viflijanka warf den Kopf herum und schnappte nach ihr.
»Dimitri … Ich kann seinen Kopf nicht …«, rief sie verzweifelt.
Dimitri sagte nichts; er war immer noch mit dem Zaumzeug beschäftigt. Mit einem letzten Ruck löste er das Verbindungsstück, und der vozok glitt unter grässlichem Gurgeln ins Wasser zurück. Laut wiehernd riss Viflijanka sich vollends los. Sophie musste ihre Hand hochreißen, um das Halfter des scheuenden Pferdes zu erwischen. Wenn Viflijanka auch nur einen Schritt zurück machte, würde er ins Wasser stürzen und ihr Rettungsversuch wäre umsonst gewesen.
Angestrengt zerrte sie an den Zügeln und bekam schließlich das Halfter zu fassen. Dann hörte sie Dimitri, der von der anderen Seite her den Kopf des Pferdes festhielt. Er streichelte es beruhigend, redete ihm gut zu und bugsierte es sanft zum Ufer hin, nur weg von dem schwarzen Wasserloch.
»Langsam, langsam …« Sophie wusste nicht, ob Dimitri mit ihr oder mit Viflijanka redete. Schlitternd und stolpernd arbeiteten sie sich die Böschung hinauf.
»Wo ist Ivan?«
Zum ersten Mal blickte Sophie sich um. Durch Viflijankas dampfenden Atem hindurch sah sie etwas, das ihr das Blut in den Adern stocken ließ.
Ivan war aufs Eis getreten, und den Blick fest auf Anna Fjodorovna gerichtet ging er langsam auf sie zu und redete Russisch mit ihr. Es klang, als würde er ihr eine Geschichte erzählen, und sie schien ihm auch zuzuhören, obwohl ihr Kopf halb abgewandt war, zum Wald hin, in dem der General verschwunden war.
»Kann er sie retten?«, sagte Sophie zu Dimitri.
Ivan streckte seine Hand aus, ganz ruhig und langsam, so wie Dimitri es vorher bei seinem panischen Pferd gemacht hatte. Die Prinzessin war gerettet! Sophie hielt den Atem an, als Ivans Finger sich um die weißen Hände von Anna Fjodorovna schlangen.
»Er hat sie, Dimitri«, stieß sie hervor.
Aber dann ging es Schlag auf Schlag. Gerade als Ivan die Prinzessin zu sich herziehen wollte, ertönte ein schriller Lokomotivpfiff und das Zischen von Bremsen. Anna Fjodorovna schrie »Grigor!« und sprang zurück, auf die Böschung zu, als hätte sie sich an Ivans Händen verbrannt. Nur war sie nicht weit genug gesprungen. Sophie hörte den dumpfen Aufprall, als sie schwer aufs Eis stürzte, und dann einen Laut, als würde ihr alle Luft aus der Brust gepresst.
Und plötzlich war nur noch Ivan da. Anna Fjodorovna, die gerade noch auf dem Eis gelegen hatte, war fort.
»Wo … wo ist sie?«, rief Sophie, obwohl sie die Antwort kannte, aber sie hoffte verzweifelt, dass sie sich getäuscht hatte.
Und dann sah sie einen weißen Schatten rasch unter dem Eis entlanggleiten, von einer tiefen, kalten, dunklen Strömung hinuntergezogen. Sie sah das Gesicht der Prinzessin, sah ihren ungläubigen Ausdruck. Ihre Finger kratzten hilflos am Eis über ihr und dunkle Gräser wogten um sie herum.
»Wir müssen sie da rausholen!«, schrie Sophie wieder, und im selben Moment schlangen sich zwei Arme um sie und hielten sie fest.
»Ist zu gefährlich«, sagte Dimitri. Und sie wusste, dass er sie nicht loslassen würde.
Hilflos schaute sie zu, wie Ivan sich an der Stelle, an der sie das überraschte Gesicht der Prinzessin zuletzt gesehen hatten, aufs Eis warf. Er hämmerte mit den Fäusten darauf, bis sie bluteten. Er schrie ihren Namen. Schwarzes und rotes Wasser spritzte in die Luft hinauf, als das Eis brach.
Ivan tauchte
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