Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
diesem Moment.
»Sophie?«
»Dimitri?«
»Halt still! Du darfst keine Angst zeigen. Du weißt, dass sie dir nichts tun. Ich habe Fleisch – ich füttere sie, dann tun sie mir auch nichts.« Sophie hörte, wie er ungeduldig gegen die Tür trat, bis er schließlich herausstolperte. Blut und Eingeweide schwappten aus dem Eimer in seiner Hand in den Schnee. Er ließ den Eimer fallen und die Wölfe stürzten sich darauf, japsend vor Begeisterung.
Dimitri schlang seine Arme um Sophie. »Ich habe mir so gewünscht, dass du bist eine Volkonskaja!«, rief er. »Ich habe gleich gewusst, als ich dich erstes Mal gesehen. Aber ich einfach nicht glauben konnte!«
»Ja, das hast du am ersten Tag zu mir gesagt! Voj Volkonski ! Gleich als ich hier angekommen bin. Wenn ich es doch nur verstanden hätte! Aber egal, ich hätte es sowieso nicht geglaubt. Wie denn auch? Wie soll das möglich sein?« Sophie lachte und weinte gleichzeitig.
Dann traten sie auseinander und schauten sich verlegen an. Ein paar von den Wölfen kamen zu Sophie zurück, lehnten sich an sie und brachten sie aus dem Gleichgewicht. Es war, als trüge sie einen langen, weiten Rock aus einem Gewirr von weißen Pelzen.
Dimitri hielt sie fest. »Die Wölfe, sie haben gewusst. Sie wissen es immer«, lachte er.
»Dimitri … wir müssen Marianne und Delphine holen! Sie haben sie eingesperrt!«
Dimitri nickte, aber er zog sie durch die Tür in den dunklen Gang hinein. »Mascha kommt! Sie ihnen hilft!« Er packte Sophie fest am Arm und fügte beschwörend hinzu: »Frau geht gleich fort! Schnell, wir müssen Volkonski-Diamanten retten!«
Sophie, Dimitri und die Wölfe liefen durch die halb verfallenen, kerzenbeschienenen Gänge des Winterpalasts. Sophie hörte das rhythmische Keuchen der Tiere, das Scharren ihrer Krallen auf dem Steinboden, und ihr Herz schlug schneller. Es war, als würden sie mit dem Rudel laufen, als seien sie selber Wölfe geworden. Dimitri hielt ihre Hand, führte sie über zahlreiche Treppen und durch hallende Gänge, durch Teile des Palastes, die sie noch nie gesehen hatte, und als die Wölfe um sie herumschwärmten, stieg eine tiefe Dankbarkeit gegenüber diesem Jungen in ihr auf.
Am Haupteingang vorne drängten sich die Wölfe um Sophie und Dimitri und konnten es kaum erwarten, hinauszustürmen. Als hätte sich die Leere des Waldes in ihren Körpern aufgestaut und einen wilden Freiheitsdrang in ihnen entfesselt.
Sophie drückte den riesigen Türgriff herunter und zog die Tür auf, um die Wölfe ins silbrige Zwielicht hinauszulassen. Sie heulten aufgeregt.
»Vorsicht!«, schrie Dimitri. »Sie machen Viflijanka scheu mit ihrem Geheul!«
Die Prinzessin und der General saßen schon im vozok , der mit Gemälden, Teppichen und Silber vollgetürmt war, und würden jetzt jeden Moment losfahren. Ivan rannte vom Stallhof auf sie zu und brüllte vor Wut. Er zerrte den silbernen Samowar vom Stapel der gestohlenen Schätze herunter und schleuderte ihn in den Schnee. Dann packte er einen Koffer am Griff und der General zog seine Pistole. Das Kofferschloss sprang auf, so dass der ganze Inhalt – Uhren, Geschirr, Besteck – in den Schnee purzelte. Anna Fjodorovna stand zornbebend im vozok und fluchte wie ein Fuhrknecht.
Als sie Sophie in der Tür stehen sah, verstummte sie. Entsetzen zeichnete sich in ihrem Gesicht ab, dann nackte Angst. Aufgeregt rüttelte sie den General am Ärmel und zeigte auf Sophie.
»Los!«, brüllte der General. »Wir haben die Diamanten!«
Dimitri rannte los, um Viflijanka zu beruhigen, den die Nähe der Wölfe in Panik versetzte, so dass er sich verzweifelt aufzubäumen versuchte. Aber das Gewicht des überladenen Schlittens hielt ihn unten. Sophie erkannte entsetzt, dass er sich den Hals brechen würde, wenn er nicht sofort freigelassen wurde.
» Poooschawwl! «, kreischte Anna Fjodorovna und riss Zügel und Peitsche an sich. Krach! Die Peitsche schnalzte über Viflijankas schweißbedeckten Rücken und traf Dimitri ins Gesicht. Der Junge taumelte zurück, die Hand an seine Wange gepresst, und im selben Moment warf sich Viflijanka nach vorne. Der General hob seine Pistole und zielte auf die Tür, aber durch den plötzlichen Ruck, den der Schlitten machte, verfehlte er sein Ziel. Sophie hörte die Kugel dicht an ihrem Kopf vorbeizischen.
»Wagen Sie es ja nicht!«, brüllte Ivan und stürzte sich auf den General. Er versuchte ihm die Pistole aus der Hand zu reißen und sie rangen ungeschickt miteinander, während
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