Wo Tiger zu Hause sind
stellte. »Greifen Sie ordentlich zu, es ist alles da, was Sie brauchen.« Und zur Flasche zwinkernd fügte er hinzu: »Ich habe noch drei davon auf die Seite gestellt, für alle Fälle …«
»
Obrigado, rapaz
…« Eléazard steckte ihm einen Geldschein in die Tasche. »Und lass dir nichts vormachen – sie sind zwar weiß, aber vor Angst, das ist alles!«
»Na, du bist mir einer«, lachte der Diener. »So einen wie dich hatten wir hier noch nie!«
Pantomimisch zeigte er, wie er sich den Mund zunähte, zwinkerte ihnen noch einmal verschwörerisch zu und ging.
»Kennst du ihn?«, fragte Loredana, von diesem Auftritt überrascht und amüsiert.
»Seit eben. Ich habe ihn hinterm Buffet kennengelernt.«
»Und was hast du ihm erzählt, um all das loszueisen?«
»Oh, nichts Besonders. Viel Gutes über dich und manch Böses über die ganzen alten Knacker hier. Aber ich hatte leichtes Spiel, er und seine Kumpel hatten dich schon gesehen; sie finden dich ›absolut klasse gebaut‹, und wenn’s dich interessiert, du wirkst kein bisschen prüde auf sie …«
»Das denkst du dir aus.«
»Überhaupt nicht! Das sind alles Kenner der Materie, und sie nehmen kein Blatt vor den Mund. Genau sie – ich meine die Hilfskräfte, die Kellner der Cafés und Barmädchen – müsste man zur psychologischen Analyse unserer Welt heranziehen … sie haben da mehr Einblick als jeder andere sonst!«
»Da fehlen noch die Supermarktkassiererinnen, die Friseure, Gemischtwarenhändler, Ärzte und Pfarrer … am Ende gar nicht so wenige ›Experten‹. Eher ein bisschen viele, was?«
»Absolut nicht«, protestierte Eléazard lächelnd. »Aber was die Ärzte angeht, bin ich einverstanden; gegenüber den Barmännern haben sie sogar noch einen Vorsprung, denn bei ihnen begnügen ihre Kunden sich nicht damit, ihre Geheimnisse zu verraten, sondern sie entblößen sich gleich ganz. Frag mal Euclides, da wirst du schon sehen. Das Nacktsein hat eine ganz ähnliche Wirkung wie Alkohol, etwas Rauschähnliches, für Beichten Günstiges, der Körper ist nackt und bloß, da wollen Geist und Sprache es auch sein. Die Pfarrer fangen es falsch an; wenn sie ihre Schäfchen dazu zwingen würden, nackt und betrunken in den Beichtstuhl zu kommen, dann bekämen sie viel interessantere Beichten zu hören. Noch der am wenigsten gerissene Aushilfskellner oder Landarzt weiß mehr über seine Mitbürger und über die Menschen ganz allgemein als der barmherzigste Beichtvater … Die Psychoanalytiker haben den Trick begriffen, aber auf halbem Wege haltgemacht. Sie sorgen dafür, dass ihre Klienten sich hinlegen, um zu reden, aber besser wäre noch, die würden sich ausziehen!«
»Na, na, na«, unterbrach ihn Loredana, »mach lieber die Flasche auf, statt solche Eseleien zu erzählen!«
»Das sind keine Eseleien«, verteidigte Eléazard sich und tat, wie sie ihn geheißen hatte. »Denk nach, und du wirst sehen, ich habe recht.«
»Ich sage ja gar nicht, dass du unrecht hast, ich meine nur, dass niemand auch nur irgendwas über irgendwen weiß. Es gibt keine Berechenbarkeit des menschlichen Geistes, kein Richtig und Falsch auf diesem Gebiet, nur Masken und Harlekinsmäntel. Wer etwa denkt – ob in guter oder böser Absicht –, er könne beobachten und dabei nicht manipuliert werden, der fällt auf ein Schauspiel herein; und auf ein Schauspiel fällt herein, wer sich betrachten lässt. Da gibt es kein Entkommen …«
»Du bist ja ganz schön pessimistisch.« Er goss Champagner ein, so langsam, wie der Schaum im Glase stieg. »Wie auch immer, das Rätsel ist sowieso nicht lösbar. Eines weiß ich immerhin über dich: Im Fackellicht bist du noch schöner als sonst.«
Als wollte er verhindern, dass sie antwortete, stellte er sich auf Zehenspitzen, zerrte ein wenig an einem Ast über ihr herum und legte einen Zweig vor Loredana, an dem in einigem Abstand voneinander drei langgestreckte Blütenkelche hingen, Trompeten mit am Ende blutrotem Trichter.
Fast hätte sie ihn vulgär gefunden. Dann beschloss sie, es lieber als naives Kompliment zu nehmen, beschränkte sich darauf, die Schultern zu zucken, als wollte sie sagen: »Was Besseres kennt man von dir ja nicht«, und stieß mit ihrem Glas an seines.
»Auf Brasilien!«, sagte sie ohne viel Überzeugung. Dann schaute sie ihn kurz an: »Und auf den alten Athanasius.«
»Auf Brasilien!«, wiederholte Eléazard, dessen Blick sich kurz verdüstert hatte.
Er wusste selbst nicht, warum er es tat, und ihm
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