Wo Tiger zu Hause sind
war auch klar, dass diese Beharrlichkeit ein wenig absurd war, aber er weigerte sich weiter, den armen Jesuiten zu ehren.
Loredana ließ das unkommentiert, und für diese Feinfühligkeit war er ihr dankbar. Elaine hätte sofort den Finger in die Wunde gelegt, hätte allerlei Deutungen angebracht, hätte ihn gepiesackt, bis er irgendwelches dummes Zeug gesagt hätte, nur um die Fragen nach den Gründen seiner Zurückhaltung abzustellen.
Sie tranken zugleich, und da Loredana Anstalten machte, ihren Kelch in einem Zug zu leeren, tat er es ihr nach sekundenkurzem Zögern gleich.
»Ancora un bicchiere«
, sie wischte sich mit der Rückseite eines Fingers die Lippen, »das war nur gegen den ersten Durst!«
Die nächste Stunde über gaben sie sich ganz dem Champagner und gehässigen Bemerkungen über die Festgesellschaft hin. Dann berieten sie, wie sich die hässliche Situation zwischen Socorró und der Ami-Familie, die sich im Hotel eingenistet hatte, auf möglichst glimpfliche Weise lösen ließe. Die Luft war mild, der Champagner stieg ihnen allmählich zu Kopf. Als die zweite Flasche fast leer war, hielt Loredana irgendwann den Zweig vors Licht, das durch die Blüten schimmerte.
»Weißt du, was das ist?«, fragte sie zerstreut.
»Nein«, gab Eléazard zu, »aber ihr Duft ist nicht gerade das Schönste an ihnen, das muss man wohl sagen …«
»
Brugmansia Sanguinea
, eine Art Engelstrompete. Halluzinogen und in größerer Dosis tödlich. Manche Indios verwenden die Pflanze noch, um mit ihren Ahnen in Verbindung zu treten; früher auch, um die Witwen zu betäuben, die mit der Leiche ihres Mannes verbrannt wurden …«
»Du willst mir sagen, ich habe dir nichts als Gift verehrt, was?« Eléazard zog ein komisch betrübtes Gesicht.
Hinter ihrem Rücken ertönte die Stimme der Gräfin und beendete das Thema.
»Da bin ich wieder! Verzeihen Sie, dass ich Euclides so lange mit Beschlag belegt habe … er wartet in der Garage.« Verächtlich drehte sie die Augen gen Himmel: »Mein Mann besteht darauf, allen, die sie noch nicht kennen, seine Autosammlung vorzuführen. Todlangweilig, aber er macht das jedes Mal. Ich zeige Ihnen den Weg, wenn Sie möchten …«
Während sie aufstanden, um ihr zu folgen, lächelte Carlotta Eléazard mit einem Seitenblick auf die Champagnerflasche zu. »Erinnere ich mich recht, Sie sind Franzose?«
Ein Glück, dass Eléazard die erste Flasche im Gebüsch versteckt hatte. Ein plötzlicher Juckreiz zog über seine Kopfhaut.
»Nur keine Angst«, sie nahm ihn beim Arm, »der Champagner ist ja dazu da, so zu enden. Ich freue mich, dass Sie ihm alle Ehre antun …«
Ihr Atem stank nach Alkohol, offensichtlich hatte auch sie mehr getrunken, als ihr guttat.
»Sagen Sie mal, Senhor von … Wogau – ich hoffe, ich entstelle Ihren Namen wenigstens nicht so schlimm?« Und nachdem Eléazard ihr versichert hatte, dass dem nicht so war, fragte sie: »Sie sind nicht zufällig mit Frau Professor Elaine von Wogau von der Universität Brasilia verwandt?«
Eléazards Herz schlug rascher, und ein bitterer Geschmack schoss ihm in den Mund. Er musste sich anstrengen, um seine Stimme ruhig zu halten, und antwortete möglichst ungezwungen:
»Wir haben ein Scheidungsverfahren laufen. Insofern steht es um die Verwandtschaft nicht so gut.«
Er begegnete Loredanas amüsiertem Blick.
»Oh, Entschuldigung!«, sagte die Gräfin ehrlich betrübt. »Es ist … ich dachte … mein Gott, wie peinlich!«
»Das ist absolut nicht nötig, keine Sorge«, tröstete er sie und lächelte über ihre Bestürzung, als hätte die ihn überrascht. »Das ist eine alte Geschichte, oder es wird gerade eine … Kennen Sie sie?«
»Nicht persönlich, nein. Mein Sohn hat von ihr erzählt, er arbeitet mit ihr an der Universität. Hätte ich das bloß gewusst, wirklich …«
»Ich sage doch, das ist nicht der Rede wert. Glauben Sie mir, es ist überhaupt nicht wichtig. Ihr Sohn ist also Geologe?«
»Ja, und zwar ein brillanter, wie es heißt. Ich mache mir ein wenig Sorgen um ihn; er ist auf einer Expedition im Mato Grosso mit Ihrer … ich meine, mit seiner Professorin … Mein Gott, ich bin ganz durcheinander! –, und wir haben seit ihrer Abreise nichts mehr von ihnen gehört. Ich weiß, es gibt überhaupt keinen Grund, aber Sie wissen ja, wie das ist, man macht sich einfach Sorgen …«
»Ich weiß von nichts. Meine Tochter erzählt nichts von ihrer Mutter, wahrscheinlich aus Diplomatie. So denke ich mir das
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