Wo Tiger zu Hause sind
wenigstens … Aber seien Sie ganz beruhigt, meine Frau – immerhin ist sie das noch auf dem Papier«, warf er scherzhaft ein, »– meine Frau ist sehr kompetent, er ist in den besten Händen.«
Loredana verfolgte das Ganze wie eine Szene im Boulevardtheater; sie ging mit einigen Schritten Abstand hinter dem aus der Gräfin und Eléazard gebildeten Duo her, die Schneise nutzend, die die beiden in die Gästeschar zogen. Die Atmosphäre war jetzt entspannter, die Kaiserpinguine und ihre Weibchen – sie erinnerte sich ganz genau an ihre ulkige Versammlung hinter einer beschlagenen Glasscheibe im Mailänder Zoo – waren vom Wein angeheitert und weniger verkrampft als zuvor. Jeder hatte sein kleines Territorium erobert und ließ sich mit geblähtem Kropf und halbgeöffnetem Schnabel schnatternd gehen. Man gockelte herum, lachte prustend, bebend und jäh errötend, brüstete sich voreinander, Hemdbrust an Hemdbrust; unter den gleichgültigen Blicken der Bediensteten vertraute man seinem Gegenüber hochwichtige Wasservogel-Geheimnisse an, erfüllt von einer köstlichen Empfindung, in der das Bewusstsein von der eigenen Überlegenheit sich mit dem Vergnügen mischte, den Zuhörer zur Dankbarkeit zu verpflichten, jenem niederdrückenden, tristen Gefühl. Die Damen hingegen plauderten über Nistplätze, Grünschnäbel und Brutpflege und strichen sich dabei mit selbstzufriedenen Mienen die Federn glatt. Ein entglittenes Glas öffnete einen Krater in der Menge, aus dem schrille Schreie tönten, der sich jedoch alsbald wieder schloss wie eine zähe Blase im Magma. Man diskutierte über die Strategie, wie sich im Packeis zu verhalten ist angesichts der bedrohlich lauernden Nähe der Killerwale, man äußerte beträchtliche Sorgen wegen des Ozonlochs, führte den Treibhauseffekt als Grund für Trockenheiten und die globale Erwärmung als den für Überschwemmungen an … Hier klagte man über die Politik der Seelöwen, andere wischten mit entschiedenen Ärmelbewegungen die maßlosen Forderungen der Fische beiseite oder äußerten sich väterlich-mitleidsvoll zu jener fernen und rührenden Karikatur der eigenen Art, den Alkenvögeln. Alle aber waren sich einig in der vorbehaltlosen Bewunderung der Flugkünste der Möwen, nicht ohne anzuführen, dass ein wenig Ordnung, Moral und Ernsthaftigkeit bei ihren Bemühungen auch ihnen, den Kaiserpinguinen, dazu verhelfen würde, sich in die Lüfte zu schwingen … Überall funkelten kleine dumme Augen in ihren Höhlen.
Sie durchquerten die Eingangshalle, verließen sie wieder durch eine Tür auf der Seite und betraten einen Bogengang unter einem Feuerwerk von rosa Bougainvilleen. Dieser Teil der Fazenda, in den die Bediensteten die Gäste sonst nicht einließen, war menschenleer und kaum beleuchtet, so dass man das Kreuz des Südens hell inmitten von Myriaden weniger stark leuchtender Sterne sah. Die Gräfin blieb kurz stehen, um den Himmel zu betrachten:
»Mir wird ganz übel von diesen Leuten«, sagte sie zu Loredana, dann atmete sie tief die Nachtluft ein, als wollte sie Körper und Geist von den Dünsten des Empfangs reinigen: »Was gäbe ich um ein Glas Champagner! … Sie haben es doch nicht so furchtbar eilig damit, diese dämlichen Autos zu sehen, oder?«
Eléazard ging ihr das Gewünschte holen, und die beiden Frauen setzten sich auf ein zwischen den Säulen verlaufendes Mäuerchen.
»Er ist nett«, sagte die Gräfin, als sie allein waren. »Wie dumm von mir, dass ich vorhin so ins Fettnäpfchen getreten bin.«
»Machen Sie sich keine Gedanken, ich glaube nicht, dass Sie ihn gekränkt haben. Obwohl, er redet nie über dieses Kapitel, das könnte auch heißen, dass er da noch ziemlich empfindlich ist.«
»Sie sind ein Paar?«
Überrascht von der unumwundenen Frage, legte Loredana den Kopf etwas schräg:
»Na, Sie nehmen wenigstens kein Blatt vor den Mund«, lächelte sie mit gerunzelten Brauen. Dann legte sie eine nachdenkliche Pause ein: »Nein, jedenfalls im Moment noch nicht … Aber wenn Sie die ganze Wahrheit hören wollen, er gefällt mir so gut, dass das durchaus vorstellbar wäre …«
Sie verstummte angesichts ihres eigenen Geständnisses – sie hatte einer so gut wie Unbekannten gegenüber laut einen Wunsch geäußert, den sie sich selbst noch nie so klar eingestanden hatte. Einerseits erkannte sie jetzt, dass sie sich tatsächlich von Eléazard angezogen fühlte, andererseits machte sie sich Vorwürfe, weil sie – und sei es auch nur für einen
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