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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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mich gen Himmel zu schwingen, begeisterte mich ungemein, & ich drang derart in Kircher, dass er meinem Wunsche nachgab, der erste Mensch zu sein, der dieses Wagestück bewältigen würde.
    Die nun folgenden Wochen gehören zu den schönsten, deren ich mich entsinnen kann. Wir ließen unsere Studien ruhen & widmeten uns ausschließlich diesem Vorhaben.
    Kardinal Barberini & der Kanonikus Manfredo Settala hatten, von unserem Ansinnen begeistert, die nötigen Mittel vorgestreckt, & die Arbeiter machten sich ans Werk. Drei Wochen genügten, um das erstaunlichste Gerät zu erschaffen, das die Welt seit Menschengedenken gesehen hatte: eine Art riesenhafter Fledermaus ohne Leib von achtzehn Fuß Spannweite, ganz aus Seide & weißen Federn, auf einem Bambusgestell. Es wurde mit Hilfe eines Systems von Gurten auf den Schultern befestigt, & als ich es trug, konnte ich feststellen, dass ich seine Flügel ohne große Mühen, wenn auch langsam, bewegen konnte.
    »So fliegen die großen Adler der Tartarei«, beruhigte mich Kircher, »nämlich erheben sie sich stets würdevoll & langsam in die Lüfte & nutzen dabei die Kräfte des Windes. Sei ohne Furcht, Caspar, diese Maschine ist dazu erdacht, nicht von selbst vom Erdboden aufzusteigen, sondern sich am Himmel zu bewegen, nachdem sie dorthin geschafft wurde.«
    Eine Woche darauf waren wir so weit. Kircher versammelte Poussin, Kardinal Barberini & Hochwürden Settala auf dem Dach der Engelsburg, wo ich, so hatte er es bestimmt, starten sollte. Es war ein gefälliger Junitag; ein laues Lüftchen regte sacht die Blätter, & ich war höchst erregt angesichts der Tatsache, dass ich als Erster überhaupt diesen alten Menschheitstraum verwirklichen sollte.
    »Diesen besonderen Ort«, so erklärte Athanasius den Gästen, »habe ich auserkoren, damit mein mutiger Assistent, Pater Schott, ohne Schäden in den Fluten des Tiber landen kann, für den unwahrscheinlichen, wenn auch nie auszuschließenden Fall, dass eine Widrigkeit ihn zwingen sollte, den Flug abzubrechen. Da Pater Schott des Schwimmens unkundig ist, habe ich außerdem Schwimmhilfen vorbereitet, die ihn ohne weiteres in diesem Element tragen werden.«
    Auf diese Worte ließ er zwei durchscheinende Blasen – Schweinsmägen, so wollte mir scheinen – herbeischaffen & rechts & links an meiner Leibesmitte befestigen. Sodann wurde ich aufgezäumt & musste einige Male die Flügel betätigen, während mein Meister ihre Funktion überprüfte. Die drei Zuschauer begeisterten sich enorm angesichts dieser klüglichen Vorrichtungen.
    Zum ersten Mal wurde mir die gefahrvolle Lage, in die mein Leichtsinn mich gebracht, so recht bewusst: Ein schauriger Abgrund öffnete sich zu meinen Füßen, & der Tiber weit dort unten erschien mir winzig klein. Die Bilder meines Sturzes bei einem Vorversuch suchten mich heim; ich schwitzte gewaltig, & während die Kraft aus meinen Armen wich, begannen meine Beine jämmerlich zu schlottern. Ich war entsetzt …
    »Auf geht’s, Caspar!«, rief mein Meister mit einmal fröhlich, »auf dass dein Ruhm dereinst den des Ikarus überflügeln möge!«
    Kurz wollte mir die Erwähnung dieses Helden ein gar zu schlechtes Omen erscheinen, doch da Athanasius den Zuruf mit einem freundschaftlich-kraftvollen Hieb auf meine Waden garniert hatte, verlor ich das Gleichgewicht, & da ich nicht schlicht & einfach ins Leere purzeln wollte, zog ich es vor, mich kraftvoll abzustoßen.
    Es war dies das ungewöhnlichste Erlebnis meines Erdendaseins: Befreit von der Leibesschwere, schwebte ich einer Möwe oder einem Sperber gleich, der über seiner Beute kreist. Leider nur dauerte diese Wonne nicht lange; ich musste feststellen, dass ich recht rasch an Höhe verlor & durchaus nicht schwebte, wie ich zunächst vermeint hatte, sondern tatsächlich fiel, wenn auch sehr viel langsamer als ohne meine künstlichen Flügel. Das Wasser des Tiber näherte sich rasend schnell, & entsetzt von meiner Lage, schlug ich voll der Kraft der Verzweiflung mit den Schwingen. Die Angst brachte mich dazu, sie tatsächlich mehrfach hintereinander bewegen zu können, ohne mich jedoch irgend in die Lüfte zu erheben; immerhin verlangsamte sich mein Sturz ein wenig, dem Himmel sei Dank. Wenn auch nicht genug, und so landete ich auf leider durchaus nicht anmutige Weise krachend im Tiber. Mit meinem letzten Gedanken überantwortete ich meine Seele Gott dem Herrn, dann schien mir, als träfe ich auf eine Fläche, härter denn

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