Wo Tiger zu Hause sind
wie man die Sache anfassen soll …«
»Man braucht nur mit den Papieren zur Polizei zu gehen«, meinte Alfredo und wusste in derselben Sekunde, was für einen Unsinn er da redete. »Also vielleicht nicht zur Polizei, bei denen weiß man ja nie … Zur Zeitung wohl eher … Wir erzählen, dass seine eigene Frau ihn verraten hat, und …«
»Und was?«, unterbracht Loredana ihn freundlich. »Wenn wir die Sache öffentlich machen, haben sie Mittel und Wege, wegen Diffamierung Skandal zu schlagen und die Spuren zu verwischen. Du weißt doch eigentlich, wie so was läuft.«
»Ohne die Typen, die die Morde begangen haben«, gab Eléazard zu, »haben wir nicht viel in der Hand.«
»Schon besser«, sagte Loredana. »Die Akazie schelten, aber dabei auf den Maulbeerbaum zeigen …«
»Wie bitte?«
»Strategem Nummer 26 . Eine chinesische Kriegslist; es läuft darauf hinaus, dass wir den Gouverneur über den Anwalt zu fassen kriegen. Wir müssen also bei den Handlangern anfangen, und da wir mehr oder weniger wissen, wo die sich befinden …«
»Ich bring die zum Reden, verlass dich drauf …«, knurrte Alfredo.
»Hör bloß mit dem dummen Zeug auf! Kennt ihr nicht einen vertrauenswürdigen Staatsanwalt oder Richter, einen, der unabhängig geblieben ist? Das würde die Sache erheblich vereinfachen …«
»Wir könnten es mit Waldemar de Oliveira versuchen …«, überlegte Eléazard. »Ein junger Staatsanwalt in Santa Inês. Ich hab ihn zwei-, dreimal zu irgendwelchen Affären interviewt, er ist integer und gilt als unbestechlich. Es ist allerdings nicht wirklich sein Ressort …«
»Das macht nichts, so könnte man die Sache wenigstens ins Rollen bringen. Ich hätte da einen Vorschlag …«
Alfredo brach nach São Luís auf, um seine marxistischen Freunde bei der kommunistischen Partei zu informieren, während Eléazard und Loredana zu ihm nach Hause gingen und dort einige Stunden lang an Texten arbeiteten, mit denen die Affäre publik gemacht werden sollte. Sie beschrieben detailliert Moreiras Spekulationen, erläuterten den Mechanismus, der zum Mord an Carneiros Familie geführt hatte, und benannten Wagner Cascudo, in dessen Landhaus sich die Mörder versteckten. Die Journalisten würden sich die Hände reiben!
»Was hast du?«, fragte Eléazard, als sie eben die letzte Version einer für den Anwalt bestimmten Nachricht fertigkorrigiert hatten.
»Ach, nichts, ich bin nur müde.« Loredana goss sich ein Glas Cachaça ein. »So ein bisschen schwarze Gedanken halt, das kommt vor … Hast du von diesem Land nicht manchmal die Nase voll?«
»Nein, das könnte ich nicht sagen. Ich mag die Menschen hier … mit denen ist alles möglich. Die schleppen nicht so viel altes Gepäck mit wie die Europäer. Was haben sie auf dem Buckel? Vierhundert, fünfhundert Jahre Geschichte? Du wirst es vielleicht naiv finden, aber wenn ich sie sehe, muss ich immer an den Titel von Stefan Zweigs Buch denken:
Brasilien, ein Land der Zukunft
… Kennst du das?«
»Ja, nicht übel. Obwohl es schon merkwürdig ist, dass er so was über ein Land sagt, in dem er sich dann das Leben nimmt …«
»Aber das hat er wegen Europa getan, nicht wegen Brasilien … Vielleicht ähnlich wie Walter Benjamin. Die beiden haben den Schrecken des Faschismus am eigenen Leib ins Äußerste getrieben, sind an den Menschen und ihrem Heimatland in einer Weise verzweifelt, die wir uns nur schwerlich vorstellen können …«
Unvermittelt wechselte Loredana das Thema: »Wie weit bist du eigentlich mit Kircher?«
»Fast fertig, jedenfalls mit der ersten Fassung. Aber es wird schwierig … Manches ist kaum nachprüfbar, für andere Details habe ich hier nicht die nötige Literatur zur Hand. Am schlimmsten ist, dass ich mich allmählich frage, für wen diese Arbeit eigentlich interessant sein soll …«
Nachdenklich biss er sich innen auf die Wange.
»Lass das«, sagte Loredana und äffte ihn nach. »Entschuldige bitte, aber das nervt … Welche Arbeit? Deine oder Schotts Biographie selbst?«
»Beide.« Eléazard war bestürzt über diese Nachfrage und darüber, wie schwer es ihm fiel, nicht weiter auf der Wange zu kauen. »Es ist einfach viel komplizierter, als ich dachte. Wie soll man einen Anmerkungsapparat zu einer Biographie schaffen – vor allem zu einer so wenig objektiven wie der von Schott –, ohne dabei eine weitere Biographie zu entwerfen? Ein Beispiel: Wenn ich die wirklichen Beziehungen zwischen de Peiresc und Kircher
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